Leichtathletik in der Dessauer Anhalt-Arena Leichtathletik in der Dessauer Anhalt-Arena: Jörn Elberding vermisst Herzblut

Dessau - Wenn Jörn Elberding seine Athleten am Mittwoch in der Dessauer Anhalt-Arena beobachtet, wird es nicht das erste Mal sein. Der Stabhochsprung-Bundestrainer schätzt das Internationale Springermeeting. „Das gibt es ja auch schon eine Ewigkeit“, sagt er. Vor der 14. Auflage hat sich Daniel George mit dem 46-Jährigen unterhalten.
Herr Elberding, am vergangenen Freitag wurde bekannt, dass Raphael Holzdeppe beim 14. Internationalen Springermeeting in Dessau starten wird. Holzdeppe wurde 2013 Weltmeister - als erster Deutscher überhaupt. Warum hat das eigentlich so lange gedauert?
Elberding: Wir waren auch davor schon oft nah dran, hatten aber nicht das Glück, was Raphael zum Beispiel schon bei Olympia in London ein Jahr zuvor hatte. Er war einer der ersten deutschen Athleten, der seine Bestleistung auch in einem Topwettkampf noch einmal gesteigert hat. 2012 und 2013 waren super Jahre für ihn. Ich bin gespannt, was er jetzt in Dessau zeigen kann.
Am kommenden Mittwoch wird auch der Hochsprung der Frauen auf dem Programm stehen. Sind Stabhochspringer automatisch eigentlich auch gute Hochspringer?
Elberding: Das kann man so pauschal nicht sagen. Ein Stabhochspringer kann prinzipiell alles ein bisschen. Wir haben welche mit toten Füßen dabei, die nicht wirklich gut springen können, aber auch gute Springer.
Zurück zum Stabhochsprung: Der Franzose Renaud Lavillenie knackte am 15. Februar 2014 in Donezk mit seinen 6,16 Metern den Uralt-Weltrekord von Sergej Bubka. Trennen die deutschen Stabhochspringer momentan wirklich nur mehrere Zentimeter von Lavillenie oder macht noch etwas anderes den Unterschied aus?
Elberding: Ich habe den Stern von Renaud 2009 bei der Hallen-Europameisterschaft in Turin aufgehen sehen. Dort tauchte er zum ersten Mal ganz vorne auf. Und seitdem hat er nur kleinere Verletzungen gehabt und springt auf einem konstant hohen Niveau. Das hat leider kein deutscher Springer geschafft, da gab es immer wieder Rückschläge. Außerdem kann Renaud viel, viel mehr springen. Ich habe eine Zahl von 97 Sprüngen pro Training gehört, das hält kein deutscher, das hält kein anderer Springer auf der Welt aus.
Woran liegt das denn?
Elberding: Das hat zum einen mit seiner Körpergröße und seinem Gewicht zu tun und außerdem mit der Art und Weise, wie er springt. Das belastet nicht so sehr den Muskel- und Sehnenapparat wie bei anderen.
Können sich die deutschen Stabhochspringer von Renaud Lavillenie etwas abschauen?
Elberding: Wir können viel von ihm lernen. Aber um ihn zu kopieren, bräuchte man genau so einen Athleten wie ihn, der genau so klein und leicht und schnell, genau so verrückt im Kopf ist.
Das meinen Sie positiv, oder?
Elberding: Ja, klar. Das würde ich auch über unsere deutschen Top-Springer sagen. Auch ein Raphael Holzdeppe und Malte Mohr haben das Potenzial, über sechs Meter zu springen.
Richten wir einen Blick auf das große Ganze: Wo steht der deutsche Stabhochsprung im Jahr 2015?
Elberding: Im Moment sieht es nicht gut aus. Wir haben sehr viele Verletzte. Das ist zur Zeit wie eine Seuche. Und von unten kommt nicht viel nach. Aber ich glaube, dass es in der Sommersaison wieder besser aussehen wird.
Sie sind seit 2005 Bundestrainer. Was hat sich seit Ihrem Amtsantritt verändert?
Elberding: Die Talente werden weniger, das muss man ganz klar so sagen. Durch das G8-Schulsystem haben wir Probleme, den U20-Bereich adäquat zu besetzen. Die Jugendlichen steigen früh in das Berufsleben ein und wir verlieren sie für den Leistungssport. Damals, bei meinem Amtsantritt, haben wir ein absolut professionelles Umfeld geschaffen und es gab eine absolut professionelle Einstellung zum Sport. Bei den jüngeren Springern habe ich manchmal das Gefühl, das nun andere Sachen im Vordergrund stehen. Ob es die Ausbildung ist, ob es die Freundin ist oder ob es der Wohlfühlfaktor ist. Dieses einhundertprozentige Herzblut, was die Generation Lobinger, Stolle, Tivontchik, Ecker eingebracht hat, trifft heute noch auf die Top-Leute zu, aber beim Nachwuchs vermisse ich das.
Fehlt die Motivation?
Elberding: Ich glaube, das ist eine Einstellungssache. Gesamtgesellschaftlich gesehen ist es so, dass die Ausbildung immer wichtiger wird. Und ich glaube auch, dass es eine Mentalitätsveränderung durch die neue Technik, soziale Medien und so weiter gibt. Auch da hat sich der Fokus verschoben. Ein Ortswechsel wird selten vollzogen - das muss aber oft geschehen, um unter optimalen Voraussetzungen Leistungssport zu betreiben. Und Leistungssport bedeutet nicht 5,50 Meter.
Sehen Sie Lösungsansätze, wie man dieser Entwicklung entgegenwirken kann?
Elberding: Man kann es nur immer wieder ansprechen, auch auf politischer Ebene. Duale Förderung muss auch wirklich duale Förderung sein. Es kann nicht sein, dass ein Bundeswehrlehrgang unsere Top-Leute acht Wochen aus der Vorbereitung rauszieht. Das geht nicht. Die Sportfördergruppe ist zum Beispiel eine gute Förderung, die aber auch noch optimiert werden kann. Wir brauchen auch Partnerschaften mit großen Unternehmen, die bereit sind, Athleten auch für drei halbe Tage zu beschäftigen, damit sie trotz des Leistungssports Berufserfahrung sammeln können. Wir haben viele, viele Baustellen, die wir in Zukunft verbessern müssen, weil, und das ist ein Fakt, wir immer weniger Talente haben. Und die müssen wir dann auch zu einhundert Prozent fördern. (mz)