Langes Warten auf Spenderorgane Langes Warten auf Spenderorgane: Jürgen Ribbecke aus Dessau versagten zugleich Nieren und Leber

Dessau - Jürgen Ribbecke erinnert sich noch genau an den Tag, der sein Leben für lange Zeit auf den Kopf stellte. Für eine Nabelbruch-Operation sollte der heute 59-jährige am 1. August 2007 im Städtischen Klinikum vorbereitet werden. „Plötzlich sagte die behandelnde Ärztin, dass sie die OP verschiebe, weil das Blutbild schlechte Nierenwerte anzeigt“, blickt der Kleinkühnauer zurück. 2016 und 2017 mussten Organe transplantiert werden.
Dass er elf Jahre nach der ersten Diagnose mit einer neuen Leber und Niere leben wird, ahnte Ribbecke damals noch nicht. Doch die Sätze im Krankenhaus waren der Beginn eines Jahrzehnts des Leidens, Hoffen und Bangens, das für ihn heute eine eindeutige Vorgeschichte hat. Die Nieren funktionierten nicht mehr so, wie sie es sollten. Fast zeitgleich verschlechterten sich auch die Leberwerte. Tabletten wurden ihm verschrieben. „Ich bin doch ein ganzer Kerl, ich stecke das weg“, so lautete seine Devise.
Im Laufe der Zeit versagten Leber und Nieren bei Jürgen Ribbecke immer mehr ihren Dienst
Schließlich hatte er bis dahin schon viele Höhen und Tiefen erlebt. Nach der Schule arbeitete der Kleinkühnauer als Mopedverkäufer, ging zur Armee, und arbeitete bis zur Wende im Autohaus in Alten. Dann in der neuen Zeit, im neuen System machte er sein Hobby quasi zum Beruf. Seit dem 13. Lebensjahr fährt Ribbecke erfolgreich Rennrad. Er eröffnet in der Hauptstraße in Kleinkühnau einen Fahrradladen mit Werkstatt, baut sogar ein neues Haus für sein Geschäft. Es läuft sehr gut bis zur Jahrtausendwende.
Dann bekommt auch er zu spüren, dass immer mehr junge Dessauer aus beruflichen Gründen ihre Heimat verlassen. „Es fehlten als Kunden massiv die potenziellen jungen Eltern mit ihrem Nachwuchs“, erzählt er. Die Geschäfte liefen immer schlechter. Die Insolvenz 2007 folgte. Das ging ihm nicht nur sprichwörtlich an die Nieren. „Das bisschen Bluthochdruck und die Müdigkeit, die man spürte, hat man lange hingenommen, ohne zu hinterfragen“, sagt Ribbecke. Die schlechten Leberwerte führt er im Rückblick ganz selbstkritisch auf einen leicht erhöhten Alkoholkonsum zurück. Im Laufe der Zeit versagten beide Organe immer mehr ihren Dienst.
Bundesweit warten rund 10.000 Patienten auf ein neues Spenderorgan
Bald schon folgen regelmäßige Dialysen, um den Körper von Giften zu befreien. Der Kleinkühnauer wird auf die Warteliste für Organtransplantationen gesetzt. Dass er gleich zwei neue Organe braucht, ist eine besonders große physische und psychische Belastung für ihn und seine Angehörigen. „Gedanken an den Tod haben wir beiseite geschoben. Ich habe mir fest vorgenommen zu leben“, sagt Ribbecke.
So oft es geht, repariert er Fahrräder als Hobbyschrauber, hilft bei der Organisation des jährlichen Kleinkühnauer Radrennens und lässt sich 2014 in den Ortschaftsrat wählen. Seine Frau ernährt die Familie. Ihre beiden erwachsenen Söhne haben Nachwuchs. „Da wollte ich dabei sein und mich nicht einfach wegschleichen“, so der Kleinkühnauer.
Mit seinem Durchhaltewillen kämpfte er auch gegen die nüchternen Zahlen und Statistiken an. Bundesweit warten laut aktuellen Zahlen der Deutschen Stiftung Organtransplantation rund 10.000 Patienten auf ein neues Spenderorgan. Dem standen im vergangenen Kalenderjahr aber nur rund 800 Spender gegenüber.
„Ich weiß, dass ich zwei Menschen, die starben, mein Leben zu verdanken habe“
„Täglich sterben mindestens drei Menschen in Deutschland, weil sie nicht rechtzeitig ein passendes Spenderorgan finden“, hat Ribbecke recherchiert. Mehrmals erreichte ihn mitten in der Nacht der Anruf der Universitätsklinik Leipzig, dass eine neue Leber auf ihn wartet.
„Ich lag ein paar Mal im Vorbereitungsraum zur OP und dann wurde doch kurzfristig wieder alles abgesagt“, erzählt er. Am 6. September 2016 bekam er dann tatsächlich eine neue Leber. Fast ein Jahr lang musste er sich von der Transplantation erholen. Am 7. August 2017 folgte die Nierentransplantation.
„Ich weiß, dass ich zwei Menschen, die starben, mein Leben zu verdanken habe“, sagt Ribbecke. Auf dem letzten Weihnachtsmarkt hat er für sie und ihre Angehörigen zwei Schutzengel gekauft, die ihn in seinem Haus täglich daran erinnern, was für ein Glück er hatte, weiterhin Sonnenauf- und -untergänge zu erleben. (mz)