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Kiez-Kino Dessau Kiez-Kino Dessau: Aus für Film von der Rolle

Von danny gitter 25.02.2014, 20:35
Filmvorführer Edmund Lening zeigt den Umstieg von der Rolle auf die Festplatte. Es ist eine Umstellung, aber auch eine Erleichterung, sagt er.
Filmvorführer Edmund Lening zeigt den Umstieg von der Rolle auf die Festplatte. Es ist eine Umstellung, aber auch eine Erleichterung, sagt er. sebastian Lizenz

dessau-rosslau/MZ - Sicherlich hätte kaum jemand was bemerkt, wenn in der zweiten Abendvorstellung vom 30. Januar Thomas Steinberg im Kiez-Kino das Publikum nicht explizit darauf aufmerksam gemacht hätte, dass mit dem Film „Inside Llewyn Davis“ ein neues Zeitalter in der Bertolt-Brecht-Straße angebrochen ist. Der Streifen der legendären Coen-Brüder über einen Folksänger im New York der 1960er Jahre war der erste Film des Kiez-Kinos, der nicht von einer Filmrolle, sondern von einer Festplatte kam. Das Programmkino in Dessau-Nord ist seitdem digitalisiert.

Umrüstung ist Kostenfrage

„Eigentlich steht dieses Thema schon seit circa zehn Jahren in der gesamten Kinobranche in Deutschland auf der Agenda“, erzählt Steinberg, Cineast und ehrenamtlicher Kino-Mitarbeiter des Kiez e.V.. Meist seien es die Kinos aber selbst gewesen, die in diesem Prozess auf der Bremse gestanden hätten, beobachtete Steinberg immer wieder. Schließlich kostet die Umrüstung richtig Geld. Vieles war in der Vergangenheit technisch und vertragstechnisch nicht richtig ausgereift, bis sich abzeichnete, dass der amerikanisch geprägte Digital Cinema Initiatives - DCI-Standard sich durchsetzen würde.

Filmförderanstalten und die Bundesländer haben diesen Umrüstungsprozess finanziell ordentlich unterstützt. Doch das Kiez-Kino konnte daran nicht partizipieren. „Um in den Genuss der öffentlichen Förderung zu kommen, muss man Mindeststandards von 8 000 Zuschauern und mehr pro Jahr und Saal oder 40 000 Euro Umsatz erfüllen. Bei diesen Kennzahlen liegen wir drunter“, berichtet Steinberg. Vor allem große Programmkinos und kommerzielle Kinobetreiber konnten so die öffentlichen Fördertöpfe nutzen und stiegen spätestens mit dem Start von „Avatar“ Ende 2009 in das Digitalzeitalter ein. „Dieser Film war wie eine Initialzündung für die Digitalisierung in Kinos“, erzählt Steinberg. Im Schnitt 50 000 Euro pro Kinosaal kostet die Umrüstung auf den DCI-Standard. Für ein Lichtspielhaus, wie das Kiez-Kino eine utopische Summe.

Während andere Häuser nicht schnell genug digitalisieren konnten, war vor vier Jahren in der Bertolt-Brecht-Straße die Frage, ob der Kinobetrieb überhaupt weitergehen könne. Hohe Verbindlichkeiten belasteten das Kiez-Kino. Spenden und der Einstieg des Anhalt-Magazins „Leo“ retteten die Cineasten in Nord vor dem endgültigen Aus.

Auch in diesem Jahr ist das „Kiez-Kino - Leo Lichtspiel“ in der Bertolt-Brecht-Straße 29a wieder ein Veranstaltungsort des Kurt-Weill-Festes. Tief in den Filmarchiven wurde nach teils vergessenen Perlen der europäischen und amerikanischen Filmgeschichte gesucht, die während der Festivalzeit präsentiert werden.

Los geht es am Dienstag, dem 25.Februar, mit „The General“ aus dem Jahre 1926. In dieser Komödie beweist Buster Keaton, dass zu Unrecht die Stummfilm-Ära in der Retrospektive nur Charlie Chaplin als großen Namen in Erinnerung hat.

Mit „Das Lied vom Leben“ zeigt das Kiez-Kino am Mittwoch, dem 26, Februar, ein Drama, das mit der andeutungsweisen Darstellung einer Geburt per Kaiserschnitt, damals im Jahr 1930 zum Skandalfilm avancierte.

Am Donnerstag, dem 27. Februar, flimmert in 35 mm-Optik der Kriminalfilm „Der Schuß im Tonatelier“ über die Leinwand.

Den Abschluss bilden am Mittwoch, dem 5. März, der Film „Tanz auf dem Vulkan“ mit Gustaf Gründgens und am Donnerstag, dem 6. März, der Klassiker „Vom Winde verweht“.

Alle Filme starten um 20.30 Uhr. Der Eintritt kostet 6 Euro.

Zeit ging ins Land. 35 mm lieferte noch immer gute Filmstoffe, bis die Kinobetreiber in der Bertolt-Brecht-Straße nicht mehr umhinkamen, sich doch endgültig mit der unausweichlichen Digitalisierung zu beschäftigen. „Spätestens im letzten Herbst haben wir gemerkt, dass wir handeln müssen, weil wir immer öfter Filme, die wir spielen wollten, nicht mehr auf 35 mm bekamen“, erzählt Thomas Ohrmann vom Anhalt-Magazin Leo und ehrenamtlicher Filmdisponent im Kiez-Kino. Vieles, was es schon im freien Handel gibt, ist derzeit noch auf 35 mm-Filmrollen verfügbar. „Bloß dafür geht kaum jemand ins Kino“, ist Ohrmann überzeugt.

Nur war schnell klar, dass 50 000 Euro als Investition auch heute noch für das Kiez-Kino eine Utopie wären. Zum Glück haben sie eine legale, sehr viel günstigere Lösung gefunden. 6000 Euro wurden in einen Server investiert. Der Anschluss an das cineastische Digitalzeitalter ist damit vorerst geglückt. Ein neuer Beamer würde das neue Kinoerlebnis vollends komplettieren. Doch sind die Anschaffungskosten im fünfstelligen Bereich, um die Ansprüche eines Kinos zu erfüllen, ziemlich hoch. „Die Bildqualität ist trotzdem zuverlässig“, versichert Steinberg.

Preis ist eine Preiserhöhung

Der Kinoalltag hat sich bisher für die Besucher seit Ende Januar kaum verändert. Hinter den Kulissen ist der Server im Vergleich zum alten Filmprojektor ein Platzsparwunder. Die Bedienung durch den Touchscreen ist viel einfacher geworden. Doch gibt es das auch auf Dauer für die Kinogänger nicht zum Nulltarif. „Durch die Digitalisierung müssen wir ab März einen Euro mehr pro Kinokarte verlangen“, kündigt Steinberg an.

Zudem wird durch die neuen technischen Möglichkeiten seitens der Kinobetreiber überlegt, regionalen Sponsoren Platz für kurze Werbetrailer vor den Filmen zur Verfügung zu stellen. Auch Nostalgiker sollen dann und wann noch auf ihre Kosten kommen. „Wenn auch selten, wird es noch Vorstellungen mit 35 mm-Filmrollen geben. Die Zukunft heißt aber digital, auch im Open-Air-Kino“, verdeutlicht Steinberg das Ende einer langen Ära.