Jagdbrücke über der Mulde Jagdbrücke über der Mulde: Fischbestand erholt sich

Dessau - Zur Jagdbrücke kommt Lea mit einem Beutel voller Toastbrot. Das Kind strengt sich nicht einmal an, die Scheiben in kleine Stücke zu brechen. Viertelbrotscheiben fliegen in die Mulde, die daraufhin in Sekunden zum Haifischbecken wird. Im Wasser tobt der Kampf um den besten Happen. Hunderte haben dieses Schauspiel schon gesehen. Manche machen sich sogar die Mühe, die „Haifische“ zu identifizieren. Es schwimmen Brassen, Graskarpfen, Aland und Döbel um die Wette. Den Fischen an der Brücke ist anzusehen, dass sie keinen Hunger leiden und ständig futtern können.
Fische, auch die der Mulde, bevorzugen normalerweise als Lebensraum tiefes Wasser. Dort sind sie geschützt vor natürlichen Räubern wie dem Fischadler. Was veranlasst die Tiere aber ausgerechnet an der Jagdbrücke im Biosphärenreservat Mittelelbe dazu, sich im Uferbereich und damit in Sichtweite der natürlichen Feinde aufzuhalten?
Keine Angst vor dem Feind
Werner Kelm findet dafür eine einfache Antwort. Der Naturschutzbeauftragte des Dessauer Anglervereins weist auf das Brot, den Mais, die Brötchen und die fetten Happen hin, die Radler in die Mulde werfen, um mit wenig Aufwand ein einmaliges Wasserballett zu erleben. „Solange auf der Jagdbrücke Trubel ist, lässt sich auch kein Fischadler sehen“, weiß Kelm, dass die Fische eigentlich kein Risiko eingehen. Und angeln ist an dieser Stelle verboten.
Von der Mulde sagt man, sie sei einmal einer der fischreichsten Flüsse Europas gewesen. Mit zunehmender Industrialisierung allerdings hat sie diesen Ruf verloren. Gerade im 20. Jahrhundert wurde der Fluss einer der größten Chemiemüll-Transporteure. Jetzt, so weiß Werner Kelm, hat die Mulde die Wasserqualitätsstufe 2. „Das ist bestes Badewasser“, erinnert der Mann an den Fakt, dass nur das Trinkwasser eine Qualitätsstufe höher liegt.
Wer hätte gedacht, dass 26 Jahre nach der Wende aus der braunen Bitterfelder Brühe wieder ein sauberer Fluss wird, in dem seit mehr als zehn Jahren keine anormalen Substanzen mehr gefunden werden. Werner Kelm gehört zu der Besatzung, die in jedem Sommer im Auftrag des Umweltbundesamtes unter Leitung des Umweltwissenschaftlers Martin Paulus von der Universität Trier für die Umweltprobenbank des Bundes die Belastung des Menschen und seiner Umwelt durch Chemikalien in verschiedenen Lebensräumen untersucht. Diese Untersuchungen umfassen 80 Giftstoffe, weiß Kelm. Während nach der Hochwasserkatastrophe im Jahr 2002 in den darauffolgenden zwei Jahren in der Mulde noch Rückstände des Umweltgifts Beta HCH nachgewiesen werden konnten, bringe das alljährliche Monitoring nun durchaus positive Ergebnisse.
Die Sauberkeit der Mulde trägt augenscheinlich Früchte. So hatten Untersuchungen des Potsdamer Instituts für Binnenfischerei im Jahr 2012 ergeben, dass der Fischbestand unterhalb des Dessauer Wehrs gewachsen ist. 19 Arten wurden damals gezählt. Steinbeißer, Schmerle, Bitterling, Stichling und Smolt (allesamt geschützte Arten) sowie Aal, Aland, Döbel, Güster, Hasel, Hecht, Barsch oder Wels fühlen sich in dem Fluss heimisch. „Allerdings beobachten wir seit einigen Jahren auch, dass bestimmte Altersklassen verschiedener Fischarten in der Mulde nicht vorhanden sind.“ Werner Kelm weiß, über die Ursachen rätselt die Wissenschaft. Der Wels mag einen kleinen Teil des Bestandes auf seinem Speisezettel stehen haben. Auch die Kormoranbestände werden für das Fehlen verantwortlich gemacht. Noch sei allerdings nicht abschließend untersucht, welchen Einfluss geklärtes Wasser auf die Flüsse habe. Darin befinden sich Rückstände von Arzneimitteln und Hormonen. Welchen Einfluss haben zum Beispiel Rückstände der Pille auf das Leben der Fische?
Graskarpfen und Anglerlatein
Zurück zur Jagdbrücke. An jenem Nachmittag können die Zaungäste dort auch einen kapitalen Graskarpfen beobachten. Den Fisch nennt man auch Amurkarpfen. Es ist ein sogenannter Neophyt, ein Fisch, den die DDR aus Asien importierte und einerseits zur Fischfleischproduktion sowie zu Meliorationszwecken einsetzte. Der über einen Meter große Graskarpfen wurde früher zum Kleinhalten der Wasserpflanzen in Teichen ausgesetzt. Graskarpfen sind nämlich reine Pflanzenfresser. Heute dürfen Graskarpfen nur noch mit Genehmigung der obersten Wasserbehörde in Gewässer eingesetzt werden, weiß Angler Kelm über den Fremdling. Und nur in solche, die mit keinem Fließgewässer verbunden sind. Die Graskarpfen, die heute in der Mulde zu finden sind, stammen mit hoher Wahrscheinlichkeit aus Tschechien, schätzt Kelm. Sie könnten über die Elbe in die Mulde gelangt sein. Der Amurkarpfen - wenn er sich denn an der Jagdbrücke zeigt - sorgt dort für Staunen und mitunter für Anglerlatein. Da war neulich die Rede von zwei Meter langen Graskarpfen, die der Fischer in Thießen schlachten musste. Es sei wie Schweineschlachten gewesen, erzählt ein Radfahrer, der an der Jagdbrücke zufällig Stopp macht und erntet nur Schmunzeln. So groß kann auch ein Graskarpfen nicht werden. (mz)
