Europäische Union Europäische Union: Wenn der Nachteil zum Vorteil wird
Dessau/MZ. - Geht es um Geld in Europa, werden Politiker schweigsam. "Es kann nicht so bleiben wie bisher", bleibt selbst Deutschlands Finanzminister Hans Eichel vorsichtig. Bis zum Jahr 2006 fließen allein 19,6 Milliarden Euro aus den Brüsseler Kassen nach Ostdeutschland. Doch was ab 2007 passiert, wenn sich die Union nach Osten ausbreitet und die Gelder neu verteilt werden, ist die große Unbekannte.
Rein rechnerisch geschieht dieses: Werden alle zwölf feststehenden Kandidaten in die Europäische Union aufgenommen, sinkt das europäische Durchschnittseinkommen schlagartig. Viele bislang als arm geltende Regionen verlieren dann die Förderfähigkeit, obwohl es ihnen faktisch nicht besser geht als vorher, ihr Durchschnittseinkommen aber plötzlich besser ist als in den neuen EU-Regionen in Polen, Rumänen oder Bulgarien.
Das sorgt für Verbitterung. Der Verteilungskampf ist in vollem Gange. Denn die Konsequenzen sind weitreichend: Nach einer Modellrechnung der EU-Kommission würden in Spanien nur noch drei von bislang zehn Regionen die europäische Höchstförderung erhalten. Portugal würde völlig rausfallen. Deutschland - immerhin Hauptzahler für Europa - bliebe mit zwei Regionen vertreten: Dessau und Chemnitz.
Das irritiert: Denn Chemnitz selbst, das einstige Karl-Marx-Stadt, ist in in aller Stille beinahe Boomtown geworden. Das Pro-Kopf-Einkommen liegt über dem ostdeutschen Durchschnitt, die Beschäftigungsquote ist höher als andernorts. Die 260 000-Einwohner-Stadt bietet fast 122 000 Arbeitsplätze, ein Drittel davon im produzierenden Gewerbe. Was also gibt es zu klagen? Norbert Tautz, EU-Beauftragter beim Regierungspräsidium Chemnitz, relativiert: In Zwickau und Chemnitz laufe es ganz gut. In der Grenzregion hingegen sieht es trübe aus: um die 20 Prozent beträgt dort die Arbeitslosenquote. Und nehme man den Durchschnitt, liege das Bruttoinlandsprodukt des Regierungsbezirks mit seinen 1,6 Millionen Einwohnern eben unter der magischen 75-Prozent-Marke des europäischen Bruttoinlandsprodukt, das die Höchstförderung sichert.
Ähnlich ist es in Dessau, wo sich die Stadt leistungsfähiger präsentiert als die Region, wie der städtische Pressesprecher Carsten Sauer betont. Der Regierungsbezirk Dessau verfehlt die 75-Prozent-Marke mit 64 Prozent deutlich - wenn die Zahlen von 1999 als Grundlage genommen und andere Faktoren vernachlässigt werden. Doch egal: "Wir sind froh über die Höchstförderung ab 2007", sagt Sauer, "und wir begreifen das als Chance."
"Die Ausgangsbedingungen waren hier besonders schwierig", weiß Dessaus Regierungspräsident Friedrich Kolbitz, der die europäische Höchstförderung ab 2007 als klaren Standortvorteil begrüßt. "Dann werden die Karten neu gemischt und Dessau wird für Investoren hoch interessant." Die Region könne dann 35 Prozent Fördermittel bieten, wenn eine Investition ansteht, während andere Gebiete im Osten Deutschlands nur noch 20 Prozent geben können. "Und Investoren schauen ganz genau, wo sie was kriegen." Die EU-Höchstförderung ist für Kolbitz kein Makel. "Es ist die Chance, infrastrukturelle Nachteile auszugleichen." Wenn es dabei bleibt.
"Die Prognose geht nicht von aktuellem Datenmaterial aus", warnt Ulrich Stockmann, Europa-Abgeordneter der SPD, vor übereilten Schlüssen. Ein Zwischenbericht liege vor. Verschiebungen seien noch möglich, wenn im nächsten Jahr neu gerechnet wird. "Das Ganze ist eine theoretische Diskussion", findet auch Theo Struhkamp, stellvertretender Regierungssprecher in Sachsen-Anhalt. Dass Dessau und Chemnitz als deutsche Armenhäuser gelten, "muss keine negativen Auswirkungen haben". Der Aufholprozess werde weitergehen. "Die Chancen Dessaus auf Ansiedlungen werden sich durch die höhere Förderung nicht verschlechtern." Das glaubt auch Manfred Piotrowsky, Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Halle-Dessau. "Der Nachteil eines schlechten Images kann zum Vorteil werden. Wir sind noch nicht so weit. Wir brauchen solche Wettbewerbsvorteile."