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Erstes Corona-Konzert in Dessau Erstes Corona-Konzert in Dessau: Metal-Musiker von "Praying Mantis" im "Grünen Baum"

Von Thomas Steinberg 17.08.2020, 13:43
Die „Praying Mantis“ im „Grünen Baum“ werden frenetisch von den Fans gefeiert.
Die „Praying Mantis“ im „Grünen Baum“ werden frenetisch von den Fans gefeiert. Thomas Ruttke

Dessau - „Bayern“, sagt Raslex, „Bayern kannste vergessen.“ Raslex trägt seinen Spitznamen graviert in einer kleinen Metallplakette an der Kutte. Bevor Corona den Lauf der Dinge diktierte, fuhr er vier, fünf Mal im Monat zu Metal-Konzerten oder -Festival. Raslex ist Metalhead. Und weil man Bayern immer noch vergessen kann, Live-Musik dort nicht möglich ist, reiste Raslex mit zwei Kumpels aus der Oberpfalz nach Dessau-Kochstedt. Genauer: In den „Grünen Baum“.

Vermutlich fährt niemand 400 Kilometer, um allein eine Dorfgaststätte zu besuchen. Doch im „Grünen Baum“ wurde am Freitag eine Premiere gefeiert: Das erste Rockkonzert in einem Saal weit und breit, nachdem Corona Bands wie „Praying Mantis“ die Verstärker abschaltete. In den 70er Jahren gegründet, haben es „Praying Mantis“ nie nach ganz oben geschafft und dennoch treue Fans. Nun spielt die Band ausgerechnet im „Grünen Baum“ in Dessau-Kochstedt.

Eine „Ermöglichungstendenz“ in der Verwaltung hat das Konzert stattfinden lassen

Das ist kein Zufall, sondern der Hartnäckigkeit von Daniel Kutsche und Ralf Zaizek zuzuschreiben. Unter dem Label „Home of Rock“ veranstalten sie seit Jahren Konzerte im „Grünen Baum“, dessen Inhaber, selbst Musikfan, ihnen den Saal für lau überlässt.

Zaizek ist der Verwaltung dankbar. Er verspürte von Anfang an eine „Ermöglichungstendenz“ als er im Rathaus anfragte, ob man nicht zu einer „gastronomischen Veranstaltung mit musikalischem Rahmenprogramm“ einladen könne.

„Jaycee!“ John Cuijpers, lange Locken, Bart, schwarzes, besticktes und bedrucktes Hemd, Sänger von „Praying Mantis“ blickt sich nach dem Rufer um. Auf dem Hof vom „Grünen Baum“ haben ihn zwei Metalheads abgepasst. Ihre Kutten sind so mit Aufnähern zugepflastert, dass der Jeansstoff darunter nicht auszumachen ist. Cuijpers signiert deshalb die Jacken innen.

Bis zu zehn Leute dürfen sich um einen Tisch versammeln

Bis zu zehn Leute dürfen sich um einen Tisch versammeln. Die Tische wiederum stehen jeweils 1,50 Meter auseinander. Wer seinen Platz erreichen oder verlassen will, muss Maske tragen. Vor der Bühne ist ein mehrere Meter breiter Streifen gelb abmarkiert. Normalerweise wäre das Teil der Tanzfläche. Aber in Corona-Zeiten dürfen sich hier nur Menschen mit „berechtigtem Interesse“ aufhalten. Servicepersonal, Techniker, Fotografen. Das Publikum kann kein „berechtigtes Interesse“ im Sinne irgendwelcher Corona-Bestimmungen vorweisen. Also bleibt es außen vor.

Kurz vor dem Auftritt der Band erläutert Zaizek die Regeln von der Bühne herab. Und bittet um Verständnis, wenn nicht alles gleich rund laufe. „Für uns ist das eine Premiere“, sagt er.

„Es war, als habe die Zeit stillgestanden. Die Arbeit war weg, der Spaß war weg.“ Cuijpers ist Vollzeit-Musiker. Oder er war es, bis Corona Europa erreichte. Mit der Arbeit fehlte das Geld. „Ich hab mir erst mal welches bei der Schwiegermutter geliehen und bin dann in meinen alten Beruf als Speditionskaufmann zurückgekehrt. Von zwei, drei Gigs im Monat kann man nicht leben.“ Hat ihn das Auftrittsverbot verändert?

„Wegen der Band“ sind Hildegard Franke und Carl Pankau aus Köln angereist

Cuijpers klopft leicht auf seinen Bauch und lacht. Überhaupt ist die Stimmung in der fünfköpfigen Band bestens. Beim Fotoshooting vor dem Auftritt albern sie herum wie Jugendliche. Endlich wieder spielen. Als die Band dann auf der Bühne steht, sieht man das glückliche Lächeln in den Gesichtern der Musiker, das nicht einmal ganz verschwindet, wenn Sänger oder Gitarrist sich in die alten Macho-Metal-Posen werfen. Man spielt wieder zusammen. In Dessau. Im „Grünen Baum“.

Wenn das nichts ist. „Wegen der Band“ sind Hildegard Franke und Carl Pankau aus Köln angereist, wo momentan gar nichts geht. Etwas wunderlich fanden sie zunächst die Location: Dorfgaststätte, gegenüber Bestatter und Friedhof, aber keine Pizzeria. Doch als die ersten wuchtigen Klangwogen von der Bühne über die rollen, ist die freundlich-rheinische Verwunderung über die Provinz hinweggespült: Beide schauen selig drein, als seien sie zu lang auf Entzug gewesen.

Ein Problem einer „gastronomischen Veranstaltung mit musikalischem Rahmenprogramm“ muss jedoch offen angesprochen werden: Headbangen im Sitzen sieht ziemlich - nun ja - doof aus. (mz)

Die Organisatoren: Ralf Zaizek und Daniel Kutsche.
Die Organisatoren: Ralf Zaizek und Daniel Kutsche.
Ruttke
Sänger John Cuijpers beim Auftritt
Sänger John Cuijpers beim Auftritt
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Zehn Fans pro Tisch sind erlaubt.
Zehn Fans pro Tisch sind erlaubt.
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