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Entscheidung in Krakau Entscheidung in Krakau: Laubenganghäuser in Dessau sind auch Welterbe

Von Lisa Garn 10.07.2017, 06:14
Ein Laubenganghaus in der Peterholzstraße in Dessau-Süd. Die Gänge sind noch heute Ort der Kommunikation.
Ein Laubenganghaus in der Peterholzstraße in Dessau-Süd. Die Gänge sind noch heute Ort der Kommunikation. Sebastian

Dessau - Hannes Meyer hat die Übergabe seiner Laubenganghäuser in Dessau als Bauhausdirektor nicht miterlebt. Er wurde wenige Tage vorher im August 1930 rausgeworfen. Aus politischen Gründen, man unterstellte ihm eine linke Politisierung des Bauhauses.

Großer Jubel in Dessau über Entscheidung in Krakau

Und brachte ihn so auch um seine Lorbeeren - über Jahrzehnte. Nun, fast 90 Jahre später, kommt er zu später Ehre: Am Sonntag  hat  das Unesco-Komitee entschieden, dass die Laubenganghäuser in Dessau-Süd und die ehemalige Bundesschule vom Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund in Bernau zusätzlich in die Welterbe-Liste aufgenommen werden. Der Jubel in Dessau war und ist groß.

Die 1928 bis 1930 entstandenen fünf Gebäude in Dessau gelten als wichtiges Zeugnis der Architekturgeschichte. „Aber während etwa die Bauten von Gropius in den letzten Jahrzehnten minutiös beforscht wurden, ist das Wissen zu den Laubenganghäusern bislang gering“, erklärt Philipp Oswalt. Er war bis 2014 Leiter der Bauhaus-Stiftung, ist nun Professor für Architekturtheorie und Entwerfen an der Uni Kassel und leitet eine Forschungsgruppe zu den Laubenganghäusern in Dessau.

Das Projekt soll bis 2019 Entstehung, Bedeutung und Ursprungszustand der Bauten erforschen. Daraus wiederum sollen sich Erkenntnisse für die Wohnungsgenossenschaft als Vermieter für Sanierung und Modernisierung ableiten lassen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert die Studien mit 300 000 Euro, beteiligt sind zwei weitere Professoren der Unis in Konstanz und Dresden.

Meyers Entwürfe sind weniger auf Effekt bedacht

Die Laubenganghäuser sieht Oswalt als Schlüsselwerk für das Bauhaus unter dem Direktorat von Meyer, das er von 1928 bis 1930 leitete. „Andere bekannte Projekte wie die Volkswohnung mit gebrauchsorientiertem Mobiliar und die Bauhaustapete sind mit ihnen verbunden. Insofern stellen sie eine Essenz der Bauhauslehre unter Meyer dar.“

Mit den Backstein-Häusern in der Peterholzstraße und in der Mittelbreite hatte Hannes Meyer seine Idee eines neuen Bauhauses umgesetzt. Er wandte sich nicht nur von den typischen Bauhausbauten in Weiß von Walter Gropius ab, sondern schuf einen Prototyp von Wohnungen für das Existenzminimum. Für Arbeiter und Angestellte waren sie gedacht. „Er war weniger auf Effekt bedacht wie vielleicht Gropius, sondern wollte ein Gebäude, das wenig kostet, gut nutzbar und effizient gestaltet ist.“

48 Quadratmeter sind die Wohnungen in den Laubenganghäusern groß

Um die 48 Quadratmeter umfasste der Grundriss der Wohnungen. „Der Platz ist knapp, aber sehr gut genutzt“, erzählt Kunsthistorikerin Anne Stengel aus dem Projekt-Team, die über die Laubenganghäuser ihre Doktorarbeit schreibt. „Unter anderem, weil beispielsweise der Schrank im Kinderzimmer direkt in der Zwischenwand zur Küche eingebaut war.“ Statt Balkon gab es für jeden Mieter eine eigene Gartenparzelle, Kinderwagen und Räder konnten in einer Art abgetrennten Box im Erdgeschoss untergebracht werden.

„Das war schon sehr gut durchkonzipiert und mitgedacht. Vor dem Bau wurde wissenschaftlich untersucht, wie sich der Lebens- und Arbeitsalltag der Mieter gestalten wird. Zu welcher Tageszeit sich in welchen Räumen am meisten aufhalten wird, wie der Stand der Sonne ist und solche Dinge.“ Darauf basierte der Grundriss: Die Wohnräume sind nach Süden ausgerichtet, Küche und Bad aber nach Norden. Die Gänge selbst sind als Ort der Kommunikation angelegt, das funktioniere noch heute, so Stengel.

Städtebaulich Neues im Dessauer Süden

Städtebaulich neu war die Mischung der Bauten: Zwischen den insgesamt zehn geplanten Laubenganghäuser entstanden niedrigere Reihenhäuser. Damit sollte auch eine Durchmischung der sozialen Schichten erreicht werden. „Dieser Typ der Mischbebauung entstand in Dessau. In Detroit in den USA gibt es ein Wohngebiet, das Mies van der Rohe nach diesem Vorbild entworfen hat“, so Oswalt.

Vorreiter war Hannes Meyer aber auch, indem er Forschung, Lehre und Praxis miteinander verband. „Er hat von Anfang an gesagt: ,Ich baue mit meinen Studenten.’ Diese Bauten sind als Kollektivarbeit geplant und realisiert worden. Das war das erste Mal, dass so etwas im Rahmen des Unterrichts stattfand. Das ist revolutionär.“

Bedeutung Meyers ist bislang kaum erforscht

Umso erstaunlicher, dass die Bedeutung Meyers nach seinem Rauswurf für lange Zeit kaum beachtet war. Das Projekt-Team hat nicht nur vor Ort geforscht, sondern sich auch Unterlagen und Bilder unter anderem aus Archiven besorgt. Anne Stengel führte Interviews mit Bewohnern, die seit Jahrzehnten in den Gebäuden wohnen. Vieles ist noch lückenhaft, auch die Veränderungen an den Bauten sind noch nicht restlos erforscht.

„Die Wohnungsgenossenschaft hat uns viel Material zur Verfügung gestellt. Wir sind froh, dass wir dort einen guten Ansprechpartner haben, der uns auch jederzeit Zugang gewährt.“ Stengel hofft, mit dem Team zum Ende des Projekts die Lücken füllen zu können. (mz)