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Ein Dessauer in Turbulenzen

Von Claus Blumstengel 15.08.2008, 19:21

Lüsse/Dessau/MZ. - Ungewöhnlich oft und ungewöhnlich lange blickte in dieser Woche René Heise in den Himmel. Der Atmosphärenphysiker, Meteorologe und passionierte Segelflieger berät während der 30. Segelflug-Weltmeisterschaften in Lüsse bei Belzig das deutsche Team und ist natürlich gespannt, wie die Mannschaft ihre Aufgaben meistert. Innerhalb von drei bis sechs Stunden müssen die Teilnehmer zum Beispiel drei Wendepunkte passieren und einen imaginären "Zylinder" durchfliegen. Je nach Wetterlage bewältigen sie dabei eine Strecke bis zu 700 Kilometern.

Dass sich die deutschen Segelflieger den aus Dessau stammenden Heise für die Weltmeisterschaften als Berater geholt haben, kommt nicht von ungefähr. Vor zehn Jahren hat der heute 43-jährige gemeinsam mit dem mehrfachen Weltrekord-Segelflieger Klaus Ohlmann das "Mountain Wave Project" zur Ozon- und Turbulenzforschung ins Leben gerufen. Seither sind die beiden auf ihren Forschungsflügen bei Wind und Wetter in Regionen unterwegs, in die ihnen kein Hubschrauber, kein Flugzeug folgen würde, weil es zu wenig Kenntnisse über diese Gebiete gibt. Ihre Forschungsergebnisse stoßen nach mehreren, von Turbulenzen verursachten schweren Zwischenfällen bei Flügen von Linienmaschinen bei Luft- und Raumfahrtexperten auf zunehmendes Interesse, geht es dabei doch um Verhaltensregeln für Piloten zur Erhöhung der Flugsicherheit.

Ohlmann und Heise standen mit dem im September 2007 verschollenen Flug-Abenteurer Steve Fossett in Verbindung. Das deutsche Institut für Atmosphärenphysik ist an ihren Ergebnissen interessiert und selbst ein kanadischer Wissenschaftler, der am Phoenix-Projekt zur Erforschung des Wetters auf dem Mars arbeitet, hat zu den beiden Segelfliegern Kontakt aufgenommen und ihnen Messgeräte zur Verfügung gestellt. "Wir fliegen bis in die Stratosphäre, und die hat eine ähnliche Struktur wie die Marsatmosphäre", erklärt René Heise das Interesse.

Wertvoll für die Wissenschaft seien ihre Messergebnisse deshalb, "weil wir sie in Regionen und Atmosphärenschichten gewinnen, wo sonst kaum jemand fliegt", sagt der Segelflieger und berichtet von ungläubigem Staunen der Kollegen von der argentinischen Flugsicherung. Dort haben beide mit dem Forschungsflugzeug Stemme S-10 VT aus Strausberg in 5 000 bis 7 000 Metern Höhe die Wellensysteme und Turbulenzen der Anden mit ihren kritischen Abwinden erforscht und wurden dabei ordentlich durchgeschüttelt. "Wenn man die Strukturen der Atmosphäre kennt und versteht und deshalb die richtigen Entscheidungen trifft, ist das nicht gefährlich", meint Heise lapidar.

Ihr bisher größtes Projekt planen Heise und Ohlmann im kommenden Frühjahr in Zusammenarbeit mit dem "Institute of Tibetan Plateau Research". Bei Forschungsflügen wollen sie mit zwei Flugzeugen vom 4 000 Meter hoch gelegenen Flugplatz Xigaze in Tibet aus die Windsysteme des Himalaja untersuchen und bis in eine Höhe von 12 000 Metern vordringen. René Heise spricht von einer "der letzten segelfliegerischen Herausforderungen auf unserem Planeten". Die beiden Forscher versprechen sich von diesem Unternehmen aufschlussreiche Messergebnisse, ist das Tibet-Plateau doch relativ wenig erforscht, obwohl es das globale Wettergeschehen wesentlich beeinflusst.

Zu seiner Heimatstadt Dessau hält Heise eine enge Verbindung, schließlich wohnen seine Eltern hier. Außerdem hat er auf dem hiesigen Flugplatz ab 1978 das Einmaleins des Segelfliegens erlernt, bei dem heute noch aktiven Hans-Georg Landes und dem im Juli 2001 bei einem Absturz ums Leben gekommenen Fluglehrer Rudi Körting. "Ich bin gern über das Waldbad und die Mosigkauer Heide geflogen. Dieses lautlose Gleiten über die Natur, das hat mich schon immer fasziniert", beschreibt der heutige Stabsoffizier für Geoinformation, was ihn damals zu den Fliegern zog. Noch heute weiß er, dass die Thermik über der Elbaue für Segelflieger ungünstig ist, dass es aber in der Mosigkauer Heide so genannte "Hot Spots", Stellen mit zuverlässigem Aufwind, gibt. "Die sind wir immer gezielt angeflogen", erinnert sich der Bundeswehroffizier.

"Der Dessauer Flugplatz hat durchaus Potenzial", so Heise. "Man sollte die Junkers-Tradition nutzen, Leute von außerhalb gewinnen und einen Neuanfang wagen", rät der Wissenschaftler. Im November, wenn die Segelflieger "100 Jahre Segelflug in Dessau" feiern, ist René Heise mit dabei. "Ich freue mich schon darauf, viele Kameraden von damals wiederzusehen", sagt er.

Bei der Segelflug-Weltmeisterschaft in Lüsse, die am Freitag zu Ende ging, wurden übrigens Michael Sommer Weltmeister und Tassilo Bode Vizeweltmeister. Beide gehören zum deutschen Team.