Dessauer Unternehmen vernetzen sich Dessauer Unternehmen vernetzen sich: Zuwanderer in zu integrieren, bietet Chancen

Dessau - Ganz reibungslos läuft es mit den neuen Kollegen nicht immer. „Das Problem ist, dass die Jungs immer ,Ja‘ sagen“, erzählt Michael Bieneck ein wenig leidgeprüft und fährt fort: „Dann schleift einer trotzdem weiter, obwohl ich ,Aufhören‘ gesagt habe.“ Dass seine neuen Mitarbeiter nicht immer sofort kommunizieren, wenn sie etwas nicht verstehen, nimmt er trotzdem mit Humor. Beim zweiten oder dritten Mal klappe es dann.
Bieneck ist Produktionsleiter im Werk der Dessauer Faserverstärkte Kunststoffe GmbH (FVK) und arbeitet dort seit einigen Monaten mit mehreren Zuwanderern zusammen. An diesem Dienstagnachmittag sitzt er vor zwei Dutzend interessiert lauschenden Unternehmensvertretern und berichtet von seinen Erfahrungen. Gemeinsam mit dem Zentrum für Migration und Arbeitsmarkt (Zemigra) hat die Dessauer Industrie- und Handelskammer zu einer Informations- und Vernetzungsrunde in ihre Räumlichkeiten geladen.
Hier soll über Chancen und Hürden bei der Anstellung von Arbeitskräften ohne deutschen Pass aufgeklärt werden. „Das Finden und Binden von ausländischen Fachkräften muss eine Erfolgsgeschichte werden“, bekräftigt Roland Liepold, der Geschäftsführer des IHK Bildungszentrums. Nach mehreren Veranstaltungen dieser Art in Halle und Magdeburg ist es der erste Anlauf in Dessau.
FVK hat zum Jahresbeginn 17 Zuwanderer eingestellt
Um dabei Erfahrungen aus erster Hand präsentieren zu können, haben die Veranstalter zwei Vertreter der FVK eingeladen. Das Dessauer Unternehmen stellt Bauteile aus faserverstärktem Kunststoff her, etwa Fahrzeugköpfe. Und das sehr erfolgreich: „Wir können uns vor Aufträgen nicht retten“, erzählt Prokuristin Stefanie Sparenberg, die neben Produktionsleiter Bieneck am Podiumstisch sitzt.
Anfang des Jahres benötigte das Unternehmen deshalb kurzfristig viele neue Mitarbeiter. Doch: „Es gibt kaum noch Deutsche, die diese Arbeit machen wollen“, berichtet die Prokuristin. Von 20 deutschen Bewerbern bliebe am Ende meist nur einer bei der Stange, erläutert Produktionsleiter Bieneck. Deshalb stellte die FVK zu Jahresbeginn neben acht deutschen Staatsbürgern auch 17 Zuwanderer ein. Es folgten drei turbulente Monate im Werk auf dem alten Waggonbau-Gelände.
„Wir sind an Grenzen gestoßen, von denen wir gar nicht wussten, dass sie kommen“, erinnert Sparenberg. Plötzlich musste sie sich mit den Fragen auseinandersetzen, in welchem Raum die neuen Kollegen beten könnten und wie viele Urlaubstage im anstehenden Fastenmonat Ramadan zur Verfügung stünden. Neben bürokratischen Hürden würden aber vor allem die vermeintlichen Nebensächlichkeiten des Alltags Zeit rauben.
„Man muss sehr viel Zeit investieren, aber es lohnt sich wirklich, Zuwanderer einzustellen“
Regelmäßig hätten die neuen Kollegen Fragen zu Mietzahlungen, Asylstatus oder Ähnlichem. „Das frisst keine Stunden, das frisst Tage“, weiß Sparenberg. Sie hilft trotzdem - und das zahlt sich aus, versichert die Prokuristin. „Man muss sehr viel Zeit investieren, aber es lohnt sich wirklich, Zuwanderer einzustellen“, bekräftigt sie. Ihre neuen Kollegen seien sehr fleißige Arbeiter. „Davon können sich manche Deutsche eine Scheibe abschneiden“, meint Sparenberg.
Produktionsleiter Bieneck bestätigt dies. Zwar seien die jungen Männer längst keine Fachkräfte und benötigten intensive Anleitung, auch Fehler blieben nicht aus. Vor allem die Kommunikation sei teils trotz Sprachzertifikaten ein großes Problem. „Aber es war vorher klar, das alles wesentlich mehr Arbeit macht“, sagt Bieneck. Nach allerhand investierter Zeit und Mühe läuft es jetzt meist rund. „Die haben innerhalb von einer Woche ordentlich aufgeräumt und alles weggeschliffen, was zu schleifen war“, berichtet der Produktionsleiter.
Netzwerkarbeit soll helfen mehr Unternehmen für das Projekt begeistern
Franka Kretschmer freut sich über die positiven Erfahrungen beim Dessauer Kunststoffhersteller. Mit dem Zentrum für Migration und Arbeitsmarkt (Zemigra) will sie Vernetzungsarbeit leisten. „Viele Unternehmen wissen nicht, an wen sie sich mit Problemen wenden sollen“, erklärt die Projektmitarbeiterin und rät: „Dafür ist Zemigra gut.“ Die Organisation verweist Suchende telefonisch an die passenden Ansprechpartner. Das Zentrum hat unter anderem eine Online-Karte mit verschiedenen Akteuren und Hilfsangeboten zusammengestellt.
Die Netzwerkarbeit trifft in Dessau auf Zuspruch. „Das ist ein riesengroßes Plus, deshalb haben wir viele Erfolge zu verbuchen“, freut sich Karin Hildebrandt. Im Rahmen des Projekts „Migrant*innen in duale Ausbildung“ begleitet sie junge Zuwanderer beim Weg in den Beruf.
Längst nicht jeder ist bereit, Migranten in seinem Betrieb Willkommen zu heißen
Auch bei den Dessauer Kunststoffherstellern der KVF konnte sie bereits Schützlinge unterbringen. „Wir brauchen diese Partner unbedingt“, meint Hildebrandt und versichert: „In jedem Betrieb gibt es einen Kümmerer, man muss ihn nur finden.“
Denn: Längst nicht jeder ist bereit, Migranten in seinem Betrieb Willkommen zu heißen. Auch nicht bei der FVK. „Die Vorurteile in der Belegschaft waren riesig, es gibt immer noch Probleme“, berichtet Stefanie Sparenberg. Ihr sei gar mehrfach entgegnet worden, die Zuwanderer würden die Arbeit nur aufnehmen, um den Bombenbau zu lernen.
Von solchen Vermutungen will die Prokuristin sich aber nicht beirren lassen. Sie ist mit fast allen ihrer neuen Mitarbeiter sehr zufrieden. „Die Integration funktioniert“, meint Sparenberg und betont erneut: „Man muss aber viel Zeit investieren.“ (mz)