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Dessau-Roßlau Dessau-Roßlau: Walküren-Strip und andere Leitmotive

Von THOMAS ALTMANN 24.10.2011, 17:23

DESSAU/MZ. - Ein Schwan zieht den Kahn. Doch kein sterbender Schwan, ein sterbendes Schwein soll mit Verweis auf die Globalisierung von vier Metzgergesellen zum Finale des "Lohengrin" zerlegt werden. Vor dem Schlachtfest jedoch köpft ein Ritter in silberner Rüstung den Regisseur, genannt "Christoph Schlappenseich", auf den nur die Silben Schlingensief passen.

Was ist das, eine groteske Generalbackpfeife auf das Regietheater in gespielter Dialogform als Aufwartung nun doch in Richtung "unbeschuhter Wagnerianer"? Herbert Rosendorfer scheint im Alten Theater genüsslich zwischen den Fronten Platz genommen zu haben. Er las am Sonntag aus "Richard Wagner für Fortgeschrittene". Der Blick ins Buch, welches gerade auch im Deutschen Taschenbuch Verlag erschien, gehört in das Begleitprogramm der Dessauer Ring-Tetralogie, vielleicht, um in der Distanz der anekdotischen Heiterkeit so ent- wie gespannt vorab zu fabulieren.

Rosendorfer hätte auch anders beginnen können, etwa in heiterer Entfernung zum "privatmystischen Schwulst" oder mit unwagnerianischen Fragen, die er vor allem dem "miesen Dramatiker und großartigen Szeniker", also dem Dichter Wagner stellt. Oper für Oper, so verstrickt chronologisch wie assoziativ und augenzwinkernd arbeitet der gelernte Jurist leger und unterhaltsam Text- und Quellenkritik auf, um die Inhalte der Werke parodierend zu entthronisieren und biografische Bissen in die Handlungen zu flechten.

Als "musikalischer Erbsenzähler" erweist sich Rosendorfer wahrlich nicht. Die Musik tritt in den emotionalen Hintergrund: "Für die einzige Arie der Eboli in ,Don Carlos': ,O don fatale' gebe ich alle, ich sage: alle Wagner-Opern hin", schreibt er und, "dass Wagners Kunst nie im Innersten ergreift, dass eine Szene wie Wotans Abschied vielleicht göttlich ist - aber nicht menschlich". Und zuweilen arbeitet Rosendorfer wie Herr Schlappenseich (nicht wie Schlingensief), schneidet sich genüsslich vom "unerschöpflichen Speck" des Ebers Sährimnir, der jeden Tag auferstehen muss, um die Walhall-Helden ewig zu ernähren, Bonmots und Ironie, nicht nur, wenn er sich das Leben der toten Helden vorstellt: "Abends dann Siebzehn-und-Vier oder vielleicht Walküren-Strip".

Ist der Liebestrank ein Placebo? Warum warnt Wotan den Wurm? Es bleibt erfrischend, wie Rosendorfer den Götterhimmel abgrast und die Stellen sucht, auf die das Lindenblatt der Leidenschaft fiel. Das Buch beginnt am Ende, mit der Initiation der Festspiele auf dem grünen Hügel in Bayreuth, mit der sakrosankten Erbfolge, den politischen Dilemmata. Die Wirkung auf die Nationalsozialisten wird ebenso ungeschönt bearbeitet wie Wagners rassistisch begründeter Antisemitismus mit den miesen Erniedrigungen Giacomo Meyerbeers, aus Eitelkeit, wie Rosendorfer weiß. Beinah hämisch berichtet der Autor, dass die Uraufführung von Wagners "Bekenntniswerk Parsifal" - das Münchner Hofopernorchester war mit Nachdruck seitens Königs Ludwig II: nicht ohne den Dirigenten zu haben - Hermann Levi, ein Jude, dirigierte.

Und übrigens habe Wagner "die Figur des Siegfrieds nicht als Dümmling" zeichnen wollen. Er sei ihm "nur, verräterischerweise, so geraten. Er, Wagner, der kleine Intrigant, Lavierer, Schmeichler, eher eine Mime, wäre gern der freie, weltverachtende Held gewesen - sprich der kraftstrotzende Idiot". Noch ein Zitat: "Wagner, der Heide - blieb Heide trotz seines späteren Kuschens vor der bigotten Cosima, vor der er eingegangen ist wie böhmische Leinwand oder eben wie Wotan vor Fricka. Der ,Ring', eine Autobiographie?" Hätte das Folgen?