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Dessau-Roßlau Dessau-Roßlau: Waggons von den Waggonbauern

Von STEFFEN BRACHERT 18.02.2011, 18:35

DESSAU/MZ. - Der Waggon steht fast versteckt im Dunkeln einer großen Produktionshalle. 13 Meter lang, drei Meter breit und 24 Tonnen leicht ist der stählern-braune Hoffnungsträger, der ein Fassungsvermögen von 76 Kubikmeter hat, dank sieben eingebauter Klappen schnell entladen werden kann und Temperaturen bis minus 60 Grad aushält. Letzteres ist wichtig: Der von der Fahrzeugtechnik Dessau CTF entwickelte Waggon vom Typ 12-9745 soll bald durch Russland und die Ukraine rollen.

Eulen nach Athen

"Dass eine rumänische Firma in den Westen geht, um Güterwaggons zu bauen, ist wie Eulen nach Athen tragen." Joachim Pfannmüller, Ex-Chef der Fahrzeugtechnik Dessau, hatte diesen Satz im Januar 2009 gesagt - und könnte nun eines Besseren belehrt werden. Die rumänischen Eigentümer der Fahrzeugtechnik Dessau haben Ende dieser Woche einen 40-Millionen-Euro-Auftrag über mehrere hundert Güter-Waggons als perfekt gemeldet. Als ersten Schritt.

Wer durch die riesigen, aber größtenteils ziemlich leeren Waggonbau-Hallen geht, den könnten Zweifel beschleichen am angekündigten Aufschwung. "Es ist die Ruhe vor dem Sturm", versichert Ernst Georg Depner. Der rumänisch sprechende, frei berufliche tätige Arbeitssicherheitsingenieur und Berater der Fahrzeugtechnik Dessau CTF zeigt auf die 400 Tonnen Stahl, die am Vorabend aus der Ukraine angeliefert wurden und bald zu Waggons verarbeitet werden sollen. "Das ist der Anfang."

Im Dezember des Jahres 2008 hatte die Companie de Transport Feroviar Bucaresti die insolvente Fahrzeugtechnik Dessau übernommen. Zwei Jahre lang drangen nur wenig Informationen aus dem Unternehmen - und wenn dann wenig gute. Zuletzt waren viele Mitarbeiter in Kurzarbeit.

"Die Sorgenfalten sind immer größer geworden", gibt Betriebsratschef Jörg Werner zu. "Wir sind alle froh, dass es nun weiter geht." Euphorie hört sich anders an. "Wenn man zwei Jahre nur ums Überleben kämpft, ist es schwierig, gleich vom Durchstarten zu reden." Werners Zurückhaltung hat aber noch andere Gründe: Auch zwei Jahre nach der Übernahme ist das Miteinander von rumänischer Betriebsleitung und deutscher Belegschaft schwierig. "Es ist ein langwieriger Prozess des Verstehen-Lernens", sagt Werner. Die Mentalitäten seien verschieden. "Südost-Europa und Deutschland auf einen Nenner zu bringen ist schwierig." Als immens wichtig erwies sich zuletzt die Anwesenheit von Depner. Als Dolmetscher. Vor allem aber als Vermittler.

Oben im Büro sitzt Stefan Movila, der geschäftsführende Gesellschafter der Fahrzeugtechnik Dessau CTF. "Wir haben für unseren Güter-Waggon als erstes europäisches Unternehmen eine Zulassung für den russischen Markt samt der ehemaligen Sowjetrepubliken bekommen", berichtet der Rumäne und legt ein Zertifikat vor. Keine zwei Wochen ist es her, dass der in Dessau entwickelte vierachsige Waggon vom Typ 12-9745 in Russland alle Tests überstanden hat. "Für die Fahrzeugtechnik Dessau ist das der Durchbruch, auf den wir lange gewartet haben." Allein in die Ukraine sollen nun 570 Güter-Waggons geliefert werden. Weitere Verhandlungen laufen. "Da können noch einmal 1 000 dazu kommen", deutet Depner an.

Movila hat ein Investitionsprogramm angekündigt. Maschinen, Computertechnik, Software. 130 Mitarbeiter hat die Fahrzeugtechnik derzeit. Noch. "Wir werden kurzfristig etwa 50 einstellen müssen", kündigt Movila an. "Und in drei Schichten arbeiten. Und Sonnabend und Sonntag." Vier Güter-Waggons sollen demnächst täglich das Werk verlassen. Mehr noch: Für Israel werde gerade ein weiterer Prototyp eines Güterwagens konstruiert. Das Gestell ist fertig. Movila verbreitet sogar Hoffnung für den "Protos". "Wir verhandeln mit dem Iran über 15 Züge."

Movilas Vorgänger Joachim Pfannmüller hatte die Fahrzeugtechnik Dessau einst zum "Schienen-Porsche" machen wollen, zu einem kleinen, aber feinen Nischen-Anbieter. Der "Protos", ein selbst entwickelter Regionalzug, der noch heute in Holland fährt, war das Vorzeigeobjekt - und zugleich der Ruin der Firma. Als die Fahrzeugtechnik im März 2008 Insolvenz anmelden musste, war der Schuldenberg auf einen zweistelligen Millionen-Betrag angewachsen. Wegen des "Protos". Und wegen der russischen Transmash-Holding, die im Jahr 2005 zwar die Fahrzeugtechnik übernommen, aber nie ihre Versprechungen eingehalten hatte."

Porsche ist Geschichte

"Der Schienen-Porsche ist Geschichte. Wir können auch Güter-Waggons", sagt Betriebsratschef Werner. Eine strategische Neuausrichtung der Firma sei notwendig gewesen. "Wir standen an dem Punkt, wo wir weiter hätten rumkleckern können oder anfangen mussten zu klotzen und Aufträge ran zu holen." Movila scheint das gelungen. "Qualität und Quantität" ist sein Motto. Gute Güter-Waggons sollen mit deutscher Genauigkeit hergestellt werden. Sein Vorbild ist der Schienenfahrzeugbauer Siemens. "Aus einem kleinen Siemens soll hier in Dessau ein großer Siemens werden."