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Dessau-Roßlau Dessau-Roßlau: Unsichtbare Spuren entdeckt

Von danny gitter 10.10.2012, 17:45

dessau/MZ. - "Es ist wie ein Akku, der immer wieder geladen werden muss", erzählt Dietrich Bungeroth über seine Motivation, regelmäßig an das Judentum in der Region zu erinnern. Anfang des Jahres war es, als der Pfarrer in Ruhe vor dem evangelischen Religionskurs der zehnten Klasse des Philanthropinums einen Vortrag über das jüdische Leben in der Dessau-Wörlitzer Kulturlandschaft hielt. "Daraufhin haben die Schüler beschlossen, mehr darüber zu erfahren", sagt die Lehrerin des Kurses Susanne Zuchowski. Das Schulprojekt "Jüdisches Leben in Wörlitz" ist entstanden. Nach über einem halben Jahr Arbeit liegt das Ergebnis greifbar in Form einer Broschüre vor. 58 Seiten umfasst diese. Am Mittwoch übergab Design Royal, eine Dessauer Werbeagentur, den 16 mitwirkenden Schülern, der Fachlehrerin und den zahlreichen Unterstützern 250 gedruckte Exemplare.

"Unsichtbar", so lautet der passende Titel. Denn die Spuren jüdischen Lebens verfolgen den Wörlitz-Besucher weit weniger intensiv als das Erbe des Gartenreichs. Das bekamen die Schüler bei einer Exkursion in die Gartenreichstadt schnell mit. "Wir haben viel hinter Mauern und Gebäude geschaut. Das war eine spannende Sache", so die Religionslehrerin Zuchowski. Erst bei genauerem Hinsehen habe sich der einstige Reichtum jüdischen Lebens in Wörlitz offenbart. Vieles sei vergessen. Einiges noch sehr gut erhalten, wie die Synagoge am Rande des Parks, die wohl aber nur wenige Ausflügler als solche sehen. Manches muss sich erst wieder ins richtige Blickfeld rücken. Der jüdische Friedhof steht dafür exemplarisch. Eine graue Stahlmauer als Denkmal erinnert seit zwei Jahren an der Kreuzung Georg-Forster-Straße und Bergstückenweg an das jüdische Kulturgut. Einst durch die Nationalsozialisten zerstört, der Grabsteine beraubt und später durch den Bau und Betrieb eines Trafohauses, das erst 2010 beseitigt wurde, weiter entehrt, zeigt es den sorglosen Umgang mit Religion und Pietät.

"Krass, wie da mit Geschichte umgegangen wird", formulieren die Jugendlichen ihre Sicht der Dinge. Von Jugendlichen für Jugendliche, aber auch für jeden anderen, der an den Spuren der Weltreligion in Wörlitz interessiert ist, wurde die Broschüre konzipiert. Mit persönlichen Einsichten und nicht minder genauso vielen wissenschaftlichen Belegen, Erkenntnisse aus unzähligen auch außerschulischen Stunden in Archiven, Bibliotheken und vor Ort.

Dieses Ergebnis, nicht nur in einem eigenen Hefter, sondern in Hochglanz zur Weiterverbreitung in der Öffentlichkeit in den Händen zu halten, hat auch einen nachhaltigen Effekt für die Teilnehmer. Nach all der Arbeit damit sind die Erkenntnisse und Fakten hängen geblieben. "Vorher hatte man sich kaum mit dem Thema beschäftigt, hatte demzufolge keine Ahnung. Man ist jetzt auf jeden Fall informierter", findet Projektteilnehmerin Petra Shaheen. Nach einem ersten Blick in die Broschüre urteilt die Elftklässlerin: "Die ist wirklich gut geworden."

Das Projekt lobt auch Eckhard Zilm. "Deutsche Schüler sollen ja angeblich kaum Geschichtsbewusstsein haben. Ihr beweist das Gegenteil", so der Schulleiter des Philanthropinums.