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Dessau-Roßlau Dessau-Roßlau: Umdenken angesagt

Von HEIDI THIEMANN 18.04.2011, 19:41

DESSAU/MZ. - Demenz? "Das hatte in unserer Ausbildung gar keine so große Rolle gespielt", sagen Jeanne Hofmann und Sindy Feindt. Beide sind Ergotherapeutinnen - und wissen, zwischen früherer Theorie und heutiger Praxis ist ein himmelweiter Unterschied. Beide sind bei der Volkssolidarität 92 Dessau-Roßlau angestellt, die in den Häusern Julie von Cohn Oppenheim und Anneliese sowie in der Seniorenresidenz am Funkplatz betreutes Wohnen anbietet. 80 Prozent der Bewohner, sagen sie, sind von Demenz betroffen.

Projekt zur Betreuung

Freilich, die demografische Entwicklung - dass die Bevölkerung der Stadt immer weniger, dafür aber immer älter wird - geht auch an Betreuungs- und Pflegeeinrichtungen nicht vorbei. Im Gegenteil. "Wir haben uns in den letzten Jahren verstärkt mit dem Thema auseinander setzen müssen", sagt Geschäftsführer Wieland Böhme. "Unser Team in der Sozialstation musste deshalb überlegen, wie gehen wir damit um?" Vor zwei Jahren wurde deshalb eine Analyse im Haus begonnen, auf deren Grundlage das Projekt der Demenz-Betreuung entstanden ist. Dessen Kernpunkt: alle Mitarbeiter arbeiten zusammen - Pflegekräfte, Ergotherapeuten, Betreuer, Fach- und Hausärzte und Physiotherapeuten. Wichtig sei es, dass die Bewohner einen regelmäßigen Tagesablauf haben. "Das können wir über unsere Projektgruppe steuern", sagt Sindy Feindt.

Die Arbeit mit Demenzerkrankten ist nicht leicht. "Einfachste Sachen gehen verloren", erklärt Jeanne Hofmann. Doch Gedächtnisverlust, Sprachstörungen, Desorientierung oder Persönlichkeitsveränderung sind bei jedem anders ausgeprägt. "Man muss sich auf jeden neu einstellen." Weshalb es auch wichtig sei, viel über die Bewohner, aus ihrem Umfeld zu erfahren, um darauf eingehen zu können. Biographiearbeit nennt sich das.

Ambulante Hilfsangebote

Doch nicht nur im betreuten Bewohnen in den drei Häusern werden Demenzkranke betreut, es wird auch eine ambulante Betreuung angeboten, erklärt Christine Böhme, Geschäftsbereichsleiterin Soziales. Die Betreuung unterstützt Familien, damit der Betroffene solange wie möglich in den vertrauten vier Wänden wohnen kann. "Hier ist auch viel Aufklärung nötig", weiß sie, dass das Thema Demenz oftmals ein Tabuthema ist. "Wir legen deshalb viel Wert auf eine qualifizierte Pflegeberatung." Dazu wurde in der Heidestraße 7 eine Anlaufstelle geschaffen.

Eine logische Konsequenz aus der Entwicklung der letzten Jahre nennt Geschäftsführer Wieland Böhme den Bau des Heimes in der Elballee, das unter dem spezifischen Aspekt der Demenzpflege errichtet wird. Sechs Wohngruppen sollen hier Platz finden, vier davon mit therapeutischem Ansatz.

Doch nicht nur die Volkssolidarität 92 baut ein neues Heim in Ziebigk. In Dessau-Süd ist ebenfalls in den letzten Monaten ein Heimneubau aus dem Boden gewachsen. 68 Bewohner werden in den Neubau der Marthahaus Seniorenresidenz GmbH einziehen. Neben Schwerstpflegefällen werden ab dem Sommer demente Bewohner hier ein Zuhause finden, sagt Geschäftsführerin Bärbel Wittkowski. Auch ihre Seniorenresidenz hat in den letzten Jahren immer mehr Erfahrung gemacht mit Bewohnern, die an der Alterskrankheit Demenz leiden. Mittlerweile sei fast jeder der bislang vom Marthahaus betreuten 128 Bewohner - in unterschiedlichstem Grad - betroffen. "Die wenigsten Dementen sind gefährlich", sagt sie, "doch für Angehörige ist die Pflege zu Hause kaum zu bewältigen." Wittkowski weiß, insgesamt müsse beim Thema Demenz in der Gesellschaft umgedacht werden. "Die Tendenz geht hin zu Wohngruppen", erklärt sie.

Nichts hält sie hingegen davon, wenn Betroffene in eine Art "Kindergarten" gebracht, also morgens hingebracht und abends wieder abgeholt werden. "Denn medizinisches und pflegerisches Know-how ist auch wichtig", erklärt sie. Weshalb auch in der Seniorenresidenz das Thema Aus- und Weiterbildung eine wichtige Rolle spielt. Gegenwärtig sind zehn Fachkräfte in der Weiterbildung.

Frühzeitig an Arzt wenden

"Demente", sagt Wittkowski, "muss man dement sein lassen." Angehörige aber empfinden es oft als ein Makel, wenn jemand aus der Familie von der Alterskrankheit betroffen ist. Dabei wäre es besser, sich frühzeitig an den Hausarzt zu wenden. "Die Gesellschaft müsste aufgeklärter sein", findet die Geschäftsführerin, denn sie stellt fest, dass viele Demente zu spät betreut werden.