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Dessau-Roßlau Dessau-Roßlau: Spirale der Gewalt eskaliert

Von Thomas Steinberg 20.03.2012, 18:49
Am Donnerstag, 25. November, ist der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen. (ARCHIVFOTO: DPA)
Am Donnerstag, 25. November, ist der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen. (ARCHIVFOTO: DPA) dpa-Zentralbild

DESSAU/MZ. - Es sind Fragen, die an diesem Dienstagvormittag auf den Fluren des Dessauer Landgerichts immer wieder diskutiert werden: Warum ist die Frau nicht schon gegangen, als er sie die ersten Male prügelte? Warum zog sie sogar zu ihrem Tyrannen in die Wohnung, ließ sich dort drei Wochen lang in unsäglicher Weise misshandeln und erniedrigen und rettete sich erst mit einem Sprung aus dem Fenster vor ihrem Peiniger, als der androhte, sie umzubringen?

Richter, zumal solche, die in einer großen Strafkammer am Landgericht schwere Fälle verhandeln, sind vertraut mit Gewalt und dennoch gehalten, in jedem, auch dem schlimmsten Täter noch den Menschen, nicht das Monster zu sehen. Die Taten des Denise K. aus Bitterfeld machen indes selbst Manfred Steinhoff fassungslos: "Was Sie getan haben, ist für diese Kammer selten, wenn nicht einmalig."

K., heute 26 Jahre alt, wird von zwei Wachtmeistern aus der U-Haft vorgeführt und verbirgt sein Gesicht hinter einer um den Kopf gewickelten Jacke, die er erst abnimmt, als Kameramann und Fotografin den Saal verlassen haben. Wie die meisten Angeklagten folgt er der Verlesung der Anklage regungslos.

Das Martyrium seiner Freundin S. beginnt im April vorigen Jahres. Aus nichtigen Anlass würgte er sie bis zur Bewusstlosigkeit. Im Mai folgen Faustschläge, ebenso im Juli, im August bedroht er sie mit einem Messer, schlägt sie mit einem Besen, bis der zerbricht. Als S. Mitte September bei K. einzieht, kommt es zum Exzess: K. verprügelt die Frau, erniedrigt sie auf widerwärtigste Weise, er vergewaltigt sie, sperrt sie in die Wohnung, droht, das Kind wegzunehmen und ihr mit dem Tod. Als der Frau die Flucht gelingt, diagnostizieren die Ärzte Hämatome am gesamten Körper, frische und ältere Rippenbrüche, die Fraktur eines Handknochens. Erst nach anderthalb Wochen kann S. aus dem Krankenhaus entlassen werden, während K. in Untersuchungshaft bleibt.

Die Anklage von Staatsanwältin Heike Kropf lautet auf gefährliche Körperverletzung, sexuelle Nötigung, Vergewaltigung, Freiheitsberaubung. Dass K. Freiheitsberaubung vorgeworfen wird, wirkt sich zu seinen Gunsten aus: Die Hölle, die der Angeklagte seinem Opfer in der Wohnung bereitet hat, wird dadurch juristisch zur einheitlichen Tat, in der die einzelnen Taten aufgehen und nur die schwerste bei der Strafzumessung zählt. Ob die Kammer tatsächlich die Freiheit gehabt hätte, dies anders zu sehen, wie Steinhoff anklingen ließ, wäre wohl ein Thema für den Bundesgerichtshof geworden.

Letztlich ist das aber egal, denn Gericht, Staatsanwaltschaft, Nebenklage und Verteidigung verständigten sich auf eine Höchststrafe von neun Jahren - wenn von K. ein Geständnis komme. Mag rein aus Gründen des kurzen Prozesses geschlossenen Deals trotz ihrer Zulässigkeit stets ein unguter Beigeschmack anhaften, in diesem Fall gibt es einen guten Grund für den Deal - dem traumatisierten Opfer wird eine erneute strapaziöse Aussage vor Gericht erspart.

Bleibt die eingangs gestellte Frage, warum Frauen solche Qualen erdulden, eine Frage, in der stets der Vorwurf einer gewissen Mitschuld liegt. Ein von Soziologen erstelltes Stufenmodell versucht die beängstigende Unausweichlichkeit des Geschehens zu erklären.

1. Die Partner lernen sich kennen, verlieben sich, meinen, aneinander genug zu haben.

2. Der Mann erfährt irgendwelchen Frust, sei es beruflich, sei es privat. Er lädt ihn bei der Frau ab.

3. Er meint, bei der Frau Fehler zu finden, kritisiert diese zunächst und greift dann zu Drohungen. Die Partnerin verteidigt sich.

4. Der Konflikt eskaliert, Entschärfungsversuche misslingen.

5. Schließlich steigert sich der Mann in einen Wutanfall, wendet Gewalt gegen Sachen, die Frau und / oder die Kinder an.

6. Die Frau sieht keine andere Widerstandsmöglichkeit, beugt sich und bestärkt so den Mann in seiner Gewalttätigkeit.

7. Nach dem Gewaltausbruch wird der Mann oftmals vom schlechten Gewissen heimgesucht, er bittet um Entschuldigung, zeigt sich klein und schwach. Die Frau vergibt ihm - was ihr wiederum eine Position der Stärke verleiht. Der Kreislauf beginnt bei Punkt 1..

Solche Muster münden allzu oft in einer Spirale wachsender Gewalt. Für die Frau kann die Trennung einerseits ganz objektiv mit noch größeren Gefahren verbunden sein oder sich gleichzeitig das Stockholm-Syndrom der Solidarisierung mit dem Täter entwickeln. Inzwischen weiß man: ähnliche Muster kommen auch in umgekehrter Konstellation vor - Frau als Täterin, Mann als Opfer.

Der Prozess wird am 5. April fortgesetzt.