Dessau-Roßlau Dessau-Roßlau: Nicht immer sittsam
WITTENBERG/MZ. - Es ist ein oft kopiertes Bild, und fast jeder hat es schon mal gesehen: Luther sitzt mit der Familie um dem Weihnachtsbaum und spielt die Laute. Und so eröffnet Martin Treu den Abend der Buchvorstellung "Luthers Weihnachten" mit einem provokanten Satz: "Luther hat den Weihnachtsbaum erfunden." Es regt sich Protest im fast vollbesetzten Refektorium des Lutherhauses. "Hat er nicht?", fragt der Luther-Experte belustigt zurück. "Was ist denn das für eine revisionistische Geschichtsbetrachtung? Er hätte ihn erfinden müssen."
Zum Nachlesen, was diese und andere Fragen rund um Adventszeit und Weihnachten vor etwa 500 Jahren betrifft, ist jetzt das "ultimative Buch" (Treu) erschienen. Elke Strauchenbruch, Autorin und Buchhändlerin in Wittenberg, hat viel geforscht und Überraschendes zutage gefördert. Gemeinsam mit ihrer Lektorin Hedwig Gafga hat sie nun in einem lockeren Gespräch die Anwesenden an die neue Lektüre gelockt.
"Es ist ein Buch, das viel Lust auf Weihnachten macht. Es wird vieles gelüftet, von dem ich noch nie etwas gehört habe", bekennt die Lektorin. Da geht es zum Beispiel um das vierzigtägige Adventsfasten, das nach dem Martinstag begann und eigentlich erst am Dreikönigstag endete. "Da habe ich echt graben müssen", sagt die Autorin. Fastenzeiten waren und sind ursprünglich die Vorbereitung auf die hohen Feste, doch das Adventsfasten ist im Gegensatz zur Fastenzeit vor Ostern fast völlig vergessen. Immerhin hat selbst Luther gemeint, dass er mal vom Fasten "ganz wirr im Kopf" geworden sei.
Wer das Buch aufmerksam liest, wird feststellen, dass Elke Strauchenbruch viele Quellen ausgewertet hat. Oft sind es nur Bruchstücke, die sie zu einem Ganzen zusammenfügt. Psalmauslegungen, Predigttexte, Tischreden, Haushaltsrechnungen verraten eine Menge. Sie allerdings zu finden ist eine mühsame Aufgabe. Die Autorin beschränkt sich auch nicht auf die Zeit der Reformation. Die Zeit davor findet ebenso ihren Platz wie späteres Brauchtum.
Weihnachten war nicht immer sittsam fromm und beschaulich. Von Weihnachtsunfug und Tanz um den Altar erzählt Elke Strauchenbruch, und so manch ausufernder Brauch wurde im Laufe der Zeit gar verboten. Schon Martin Luther selbst dürfte Weihnachten im Laufe seines Lebens sehr unterschiedlich erlebt haben. Das Fest in Luthers Kindheit in der vom Bergbau geprägten Mansfeldischen Region ist ihm sicher anders in Erinnerung als seine Zeit als Mönch oder später in der eigenen Familie. Auch seine Bestrebungen, statt des Heiligen Nikolaus oder Andreas das Christkind als Gabenbringer zu etablieren, sind hier recherchiert.
"Luther wollte die Heiligen nicht abschaffen. Für ihn war Jesus das Geschenk, alles andere war nicht so wichtig", erläutert Elke Strauchenbruch. Auch der Kampf gegen Dämonen, das Dunkle und Böse, spielt bei Luther eine große Rolle. Der Glaube, habe er gesagt, sei ein probates Mittel gegen Anfechtungen des Teufels. Ordentlich essen und trinken helfe, aber eben nicht nur allein.
"Man muss ein tolles Thema haben. Ich bin ja selbst Buchhändlerin. Und wenn ich es verkaufen kann, können es auch andere", erzählt Elke Strauchenbruch, wie sie zu diesem Buch gekommen ist. Während sie schreibe, entstehe das nächste schon im Kopf. Ideen seien sogar schon für drei Bücher da, aber verraten wolle sie nichts.
Für Martin Treu jedenfalls ist das neue Buch nach eigenem Bekunden "eine Gabe Gottes". Im Advent häufen sich nämlich im Lutherhaus jedes Jahr die Anrufe zum Thema Luther und Weihnachten. Da könne er nun sagen: "Nein, das muss ich Ihnen nicht am Telefon erklären. Darüber gibt es ein ultimatives Buch, das kaufen Sie sich."
Elke Strauchenbruch: Luthers Weihnachten; Evangelische Verlagsanstalt Leipzig 2011; 149 S. mit Abb.; ISBN 978-3-374-02905-1, 12,80 Euro