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Dessau-Roßlau Dessau-Roßlau: Gegensätzliche Schlagzeilen

Von THOMAS STEINBERG 06.12.2011, 18:35

Dessau-Rossalu/MZ. - "Am Dessauer Muldewehr wird mit hoher Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zeit Strom erzeugt." - "Ein Kraftwerk lässt sich an dieser Stelle nicht wirtschaftlich betreiben." Es sind zwei Sätze aus dem Dessauer Lokalteil der Mitteldeutschen Zeitung, zwischen denen gerade einmal ein halbes Jahr liegt.

Zwei Aussagen, eine Quelle

Widersprüchlicher geht es kaum, obwohl beide Aussagen letztlich eine Quelle haben: das Land Sachsen-Anhalt, genauer den Landesbetrieb für Hochwasserschutz beziehungsweise den landeseigenen Talsperrenbetrieb und dessen Tochter, die Talsperren-Wasserkraft GmbH. All die sind, direkt oder indirekt, dafür zuständig, das Muldewehr in der Stadt umzubauen. Bis zum Jahr 2015 müssen es Fische stromauf und -ab passieren können, so will es eine EU-Richtlinie.

Die Frage ist nur: Vertragen sich Naturschutz und wirtschaftliche Nutzung der Wasserkraft? Wasserkraft hat schließlich ebenfalls etwas mit Umweltschutz zu tun: eine regenerative Energiequelle, emissionsfrei und seit 5 000 Jahren genutzt. Die Kraft des Windes verstand der Mensch erst 1 000 Jahre später zu bändigen.

Vor zehn Jahren ist Rüdiger Zühlke gemeinsam mit seinem Bruder unter die Strommüller gegangen. Acht Jahre dauerte das Genehmigungsverfahren, dann konnte das kleine Wasserkraftwerk an der Jonitzer Mühle in Betrieb gehen. Im Schnitt versorgt es seither 400 Haushalte mit Strom. Nicht viel, mag man meinen. Der Umwelt hat es, den deutschen Strommix zugrunde gelegt, immerhin den Eintrag von 7 000 Tonnen Kohlendioxid erspart. Momentan dreht sich nur eine der beiden Turbinen. "So wenig Wasser wie jetzt hatten wir noch nie im Herbst", klagt Rüdiger Zühlke.

Doch das Kraftwerk läuft. Ob man das je von einem an der Dessauer Mulde wird sagen können, scheint mehr denn je ungewiss. Dabei könnte man, ist Zühlke überzeugt, ein solches wirtschaftlich betreiben. Nur eben nicht unter den Konditionen, die das Land und die Stadt fordern. Diese stellt sich etwa vor, dass das Wehr stets überströmt sein müsse. Es geht dabei um Ästhetik, nicht um Natur. Oder vielleicht doch: Ein künstliches Bauwerk soll getarnt werden, natürlicher aussehen. Mit Wasser, das den Turbinen fehlen würde.

Weit mehr strömende Energie würde für den Fischaufstieg abgezogen werden. Der hat in den Planungen inzwischen beachtliche Ausmaße erreicht, nachdem er passend für den Stör gebaut werden soll. Ein Millionenbauwerk, um - eine alte Tradition - ein menschengemachtes Problem zu beheben. Gerade Wasserbauern ist seit 300 Jahren auf diese Weise nie die Arbeit ausgegangen, jede neue Lösung zog irgendwann eine noch neuere, noch größere Lösung nach sich.

Wehre in der Mulde sind keineswegs eine neue Erfindung. Trotzdem gelang es Fischen - etwa dem heute begehrten, einst als Billigfisch verpönten Lachs - bis zu den Laichgründen vorzustoßen. Zühlke: "Neben den Wehren standen Lachshorden", Kisten, die den Fischen als Treppen vom Unter- zum Oberwasser dienten. Nicht Wehre haben einst den Fischbeständen den Garaus bereitet, sondern die Wasserverschmutzung und die Wollhandkrabbe. In der Folge musste beim Wasserbau auf Fische keine Rücksicht genommen werden. Flüsse wurden verbaut. In der Mulde und ihren Nebenflüssen finden sich Hunderte von Hindernissen für die wieder rückkehrwilligen Fische. Zühlke hat nichts dagegen, Fischen die Passage zu ermöglichen. Im Gegenteil. Doch für ihn ist es ein Widerspruch, tausende Tonnen Beton zu verbauen und so Natur zu simulieren. "Es gibt", sagt er, "mehr als ein Schutzgut."

Das Wasserkraft hat mächtige Gegner, vor allem unter Naturschützern. Deren Argumente sind nicht von der Hand zu weisen: Wasserkraftturbinen häckseln Fische. Damit das nicht geschieht, werden vor die Einläufe Rechen gesetzt und den Fischen Schlupflöcher gelassen. Nur: Wie Rechen und Schlupflöcher aussehen müssen, darüber herrscht bundesweit keine Einigkeit. In Sachsen-Anhalt gilt das "System Gluch" inzwischen als das Nonplusultra, mit dem die Forderungen der Wasserrahmenrichtlinie erfüllt werden können. Ein wesentliches Merkmal: die Rechen sind nicht mehr im rechten Winkel zur Strömungsrichtung und unmittelbar vor den Turbineneinlässen angeordnet, sondern weit davor und schräg. Insbesondere die Überlebenschancen des Aals, dem eine eigene EU-Artenschutzverordnung gewidmet ist, steigen dadurch dramatisch, sagt Gluch, Mitarbeiter des Landesbetriebs für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft Sachsen-Anhalt. Testläufe gab es zuerst an den Anlagen in Halle-Planena und Rothenburg (Saale). Tatsächlich, so zeigen Fänge, konnten viele Aale unbeschadet passieren. "Nur", kontert Rüdiger Zühlke, "die haben weiter oben schon Dutzende andere Wasserkraftwerke überlebt, die nicht nach dem System Gluch konstruiert wurden. Wie das?"

Forderungen überdenken

Zühlke macht keinen Hehl daraus, dass er und sein Bruder gern am Dessauer Wehr den Fluss in Strom umgewandelt hätten. Aber auch, wenn man nicht zum Zuge gekommen sei - es wäre bedauerlich, die Chance zu verpassen, in Sichtweite des Dessauer Schlosses umweltfreundlich Energie zu erzeugen. Dazu müsste allerdings nochmals neu nachgedacht werden. Mit den jetzigen Forderungen, ist er überzeugt, wird kein Wasserkraftwerk an dieser Stelle wirtschaftlich zu betreiben sein.