Der gute Geist der Schule zieht auf den Dachboden
Meinsdorf/MZ. - Im familiären Pennal weht viel frischer Wind. Dafür sorgte bislang Sigrid Lomsché. Wenn die Ferien beginnen, endet ihr Dienst. Die Schulleiterin geht in den Ruhestand. Zwei Seelen, sagt sie, wohnten jetzt in ihrer Brust. Gegenwärtig ist die Seele, in der die Wehmut haust, wohl die größere. Lomsché: "Wenn ich noch einmal auf die Welt komme, werde ich wieder Lehrerin." Wie damals, als alles begann, vor nunmehr 43 Jahren.
Sigrid Lomsché wurde in Halle geboren, studierte in Leipzig und trat 1962 ihren Dienst in einer Schule in Eilenburg an, der ein Kinderheim angeschlossen war. Sie unterrichtete Kunst und Geschichte. Schon ein Jahr später folgten Heirat und Umzug nach Dessau.
In der "Mauerschule" wurde sie später stellvertretende Direktorin, zuständig für außerschulische Arbeit. Quälereien bewogen die parteilose Direktorin, diesen Teil ihres Dienstes zu quittieren. Ohne Spuren blieb das nicht.
Nach der Wende wurde sie Schulleiterin in den Grundschulen Mosigkau und Törten. 1997 kam sie nach Meinsdorf. "Das letzte Jahr war das interessanteste Jahr", sagt Sigrid Lomsché und hat dabei die Umgestaltung der Schule in eine der neun Ganztagsschulen in Sachsen-Anhalt im Blick. Besonders dankbar sei sie dem Kollegium.
Weil kein zusätzliches Personal eingestellt werden konnte, gäbe es nun mehr Arbeit, die von allen geleistet werde. Dankbar sei sie auch der Stadt, dem Elternrat, der Villa Kunterbunt, dem Schulhort also, und allen, die geholfen haben. Jetzt können die Kinder in 14 Arbeitsgemeinschaften Allgemeinwissen lernen, Schule, Lehrer und Mitschüler von anderer Seite erleben.
Nicht zuletzt garantiert diese Umgestaltung den Fortbestand der kleinen Schule im großen Sparen am falschen Fleck für 15 Jahre. Was hat sich in all den Jahren geändert? Sie habe sich verändert, sagt Lomsché. Gelassener sei sie geworden. Als in Eilenburg ein Schüler auf die Frage, wer der erste römische Kaiser gewesen sei, unverfroren "Stinkesocke" entgegnete, habe sie ihn hundertmal schreiben lassen, dass dieser Augustus und nicht Stinkesocke geheißen habe. Heute würde sie ihm wahrscheinlich nur erwidern: "Du meinst wohl deine Füße".
Auch die Kinder hätten sich verändert. Sie seien kritischer, freier als früher. Von Autoritätsverlust könne in der Grundschule dabei nicht die Rede sein, aber von einer anderen Form der Autorität.
Noch Stunden könnte man sich mit ihr über Schule unterhalten, über Themen wie "kleine Füße - kurze Wege", Freiheiten und Grenzen, Vor- oder Nachteile von Gesamtschulen, Prioritäten bei der Sanierung von Schulhäusern. Während der Phase der Umgestaltung zur Ganztagsschule habe sie eine Begegnung mit einer finnischen Kollegin sehr beeindruckt. Dort passiert eine Menge neben den obligaten Schulstunden. Dort ist Pflichtschulzeit Gesamtschulzeit. Dort gibt es viele Zwergschulen mit jahrgangsübergreifenden Klassen, also das Gegenteil strikt getrennter deutscher Bildungswege.
Und Finnland gehört - wie die Skandinavier überhaupt - zu den Spitzenreitern der PISA-Studie. Zwergschule, Märchenschule, so wird auch die Meinsdorfer Schule oft genannt. Natürlich ist sie ein Kleinod am Stadtrand, aber nicht am Rande bildungspolitischer Diskussionen. Diese öffentliche Diskussion vermisse die Schulleiterin.
Nun geht sie in lange letzte große Ferien. Und dann? Sie werde sich um das Schulmuseum kümmern, strikt thematisch sammeln. Kaum gesagt, sitzt sie auch schon mit einigen Schülern in einer der alten Schulbänke zum Fototermin. Gleich danach steht sie auf dem Dachboden. Hier könnte ein Museums- und Theaterboden entstehen. Es scheint, als sei er schon eingerichtet - im Kopf der Lehrerin, die viele Ideen für das Museum hat, aber lange noch nicht in ein Museum gehört, auch wenn ihr die alten Möbel bestens zu Gesicht stehen.
In Eilenburg könnte in Kürze ein Mann seinen fünfzigsten Geburtstag feiern, der wahrscheinlich ein sehr persönliches Verhältnis zum alten Augustus hat. Und Paul erinnert sich schon am Ende seines ersten Schuljahres gern an die erste Stunde. Brücken haben sie gemalt, neue Ufer betreten. "Sie werden mir fehlen, die Kinder", sagt Sigrid Lomsché. Und manche Lehrer haben viele Kinder.