Jeder braucht’s , keiner backt’s Das Bäckereihandwerk hat auch in Dessau-Roßlau Nachwuchssorgen
Zudem reißt die Pandemie Lücken in den Unterrichtsstoff an der Berufsschule.

Dessau-Roßlau - Geigenbauer in Italien, Yoga in Indien, Rumba in Kuba, Chorgesang in Deutschland - auch das ist Kulturerbe. Auf der bundesweiten Liste und im Register zum „immateriellen Kulturerbe“ der Unesco-Kommission tauchte 2014 die „deutsche Brotkultur“ auf.
Deutsches Brot ist nicht nur beliebt, sondern auch in seiner Vielfalt einzigartig. Im Bäckerhandwerk leben die alten Traditionen bis heute fort und fließen neue Erkenntnisse aus Wissenschaft und Technik in die Herstellung der Backwaren ein.
Es wird von Jahr zu Jahr immer schwerer, Lehrlinge für einen Beruf zu finden
„Früh am Morgen, zur Vesper oder am Abend - alle wollen Brot essen. Nur keiner will es mehr backen“, weiß Martina Härtung, in der Unternehmenszentrale der Bäckerei Lantzsch GmbH im Dessauer Gewerbegebiet Mitte mit Personalaufgaben betraut. In der 2002 eröffneten neuen Produktionsstätte des Unternehmens in der Reichardtstraße erlernen Bäcker und Konditoren sowie Fachverkäufer das alte Handwerk.
Deren Zahl liegt aktuell bei neun (vier Bäcker/Konditoren und fünf Verkäufer). Aber es wird von Jahr zu Jahr immer schwerer, Lehrlinge für einen Beruf zu finden, der zwar unverzichtbar ist, aber alles andere als leicht und bequem.
„Bäcker zu sein, das ist ein Beruf, den man einfach wollen muss. Unbedingt“
„Bäcker zu sein, das ist ein Beruf, den man einfach wollen muss. Unbedingt“, ist Martina Harting überzeugt und vergleicht diese Einstellung mit dem Berufswunsch einer Krankenschwester. Wer sich dafür entscheidet, müsse dazu bereit sein. Wer Bäcker wird, weiß, dass er nachts aufstehen muss. „Die Leute wollen früh ihre backfrischen, noch warmen Brötchen.“ Sofort ab Ladenöffnung.
Das gilt für alle Filialen, die die Bäckerei Lantzsch in der Stadt Dessau-Roßlau und in der Region betreibt. Das unternehmerische Umland der traditionsreichen Brotmacher erstreckt sich über Köthen, Bitterfeld-Wolfen, Wittenberg bis hin nach Halle (siehe: Bäcker in 4. Generation). Ab dem frühen Morgen sind die Läden auf. Am Hauptsitz gleich neben der „Backstube“ in der Dessauer Reichardtstraße sogar schon zum Sonnenaufgang ab 5 Uhr.

In ganz Sachsen-Anhalt werden aktuell 359 angehende Bäcker ausgebildet
Nachwuchssorgen im Bäckerhandwerk hat nicht allein Dessau-Roßlau. In der Doppelstadt gibt es nach Datenlage der Bundesagentur für Arbeit gerade einmal 17 Auszubildende. Und das insgesamt über alle drei Lehrjahre.
„Das ist wenig, aber landesweit nicht anders“, sagt Jörg Most, Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) der Region Leipzig-Halle-Dessau. So werden in ganz Sachsen-Anhalt aktuell 359 angehende Bäcker ausgebildet. In Bäckereibetrieben arbeiten in Sachsen-Anhalt derzeit 7.065 Beschäftigte.
„Eine hohe Durchfallquote bei den Gesellenprüfungen würde den Fachkräftemangel weiter verschärfen“
Die Corona-Pandemie verschärft zudem seit über einem Jahr die Situation. Die NGG fordert deshalb, dass Auszubildende, die jetzt rund um Dessau-Roßlau kurz vor ihrer Abschlussprüfung zur Bäckergesellin oder zum Fachverkäufer stehen, besser auf ihre Klausur vorbereitet werden sollen. „Weil der Berufsschulunterricht pandemiebedingt über Monate ausgefallen ist oder nur digital stattfand, haben viele Azubis wichtigen Stoff verpasst und blicken mit Bauchschmerzen auf die anstehende Prüfung“, sagt Jörg Most.
Die heimischen Bäckereien sollen ihren Nachwuchskräften mehr Zeit fürs Lernen geben und einen zusätzlichen Vorbereitungskurs anbieten, so die Gewerkschaft. „Eine hohe Durchfallquote bei den Gesellenprüfungen würde den Fachkräftemangel weiter verschärfen“, warnt Most. Nach einer neuen Förderrichtlinie werden die Kosten für solche Kurse zur Hälfte vom Bund übernommen - bis zu einem Maximalzuschuss von 500 Euro. (mz)