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Chaoswohnung in Mildensee Chaoswohnung in Mildensee: Messie-Alarm im Dorf

Von Silvia Bürkmann 12.08.2016, 15:28
Eine Wohnung, die den Namen nicht verdient: So hatte eine Mieterin mit zwei Kindern die Räume hinterlassen.
Eine Wohnung, die den Namen nicht verdient: So hatte eine Mieterin mit zwei Kindern die Räume hinterlassen. Lutz Sebastian

mildensee - Privatvermieterin Erika Pasieka muss sich jetzt allein durchboxen. Drei Zimmer, Küche, Dusche, WC, Veranda und Vorratsraum - das treibt ihr abwechselnd Zornesröte oder blankes Entsetzen ins Gesicht.

Die Mietwohnung im benachbarten Eingang ist verkommen zu einem Dreckstall. Es ist eine Messie-Wohnung, die Pasieka hinterlassen wurde. In der Mildenseer Kapenstraße hatte die 78-Jährige vor neun Jahren an eine junge Mutter mit Kind vermietet.

Nun fliegen die Fetzen, beide Parteien sprechen nur noch über Anwälte miteinander. Und Pasieka muss zusehen, wie sie zu ihrem Recht kommt.

Fälle in Dessau-Roßlau

Kein Einzelfall in Dessau-Roßlau. „Es gibt Beispiele. Für die Leute ist das ganz schlimm“, sagt Klaus Abramowski, Vorsitzender Eigentümerschutzgemeinschaft Haus und Grund im Ortsverein Dessau.

„Verwahrloste Mietwohnungen können in den Ruin führen, wenn noch Kredite zu bedienen sind.“ Auch bei der DWG, dem größten Vermieter der Stadt, gibt es jährlich Fälle. „So etwas kommt querbeet bei allen Vermietern vor“, erklärt DWG-Sprecher Walter Matthias. Meist seien die Ursachen psychisch oder altersbedingt. „Wir versuchen, mit unseren Sozialarbeitern Hilfe anzubieten“, so Matthias.

Der blanke Horror

Für Erika Pasieka in Mildensee ist es derzeit der blanke Horror. Um die Jahrtausendwende hatte sie nach dem Tod ihrer hochbetagten Mutter, die eine Haushälfte mit separatem Eingang bewohnte, mit der Vermietung der leer gewordenen Wohnung begonnen.

2007 stand eine junge Frau mit einem Kleinkind auf dem Arm vor Pasieka. Im September zog die Mini-Familie ein, wuchs nach zwei Jahren an um ein zweites kleines Mädchen.

Übrig geblieben ist heute eine Wohnung, die kaum betreten werden kann. Vor dem Wohnzimmer warnt ein mit hunderten Fliegenleichen beklebter Fliegenfänger allzu zart Besaitete.

In der Küche stapeln sich Bierflaschen, auf dem Fernsehtisch steht noch die Ketchupflasche, im Schlafzimmer lehnen Bett-Einzelteile an der Wand, die Matratze lümmelt auf dem dreckigen Boden.

Die schwarz verbrannten Kochplatten und der Zustand in Dusche und Toilette spotten jeder Beschreibung. Und der Kühlschrank quoll über von verdorbenen Lebensmitteln - „da habe ich kapituliert“, so Pasieka.

Seit Jahren ein distanziertes Verhältnis

Das Verhältnis zwischen Vermieter und Mieter - es war die ganzen Jahre eher distanziert als eng vertraut. „Wir haben einander gegrüßt und das Nötige besprochen. Nicht mehr“, erinnert sich Pasieka. Kleine Hilfeleistungen erschienen der alteingesessenen Mildenseerin selbstverständlich.

So hat sie ihre hochschwangere Mieterin im Auto zur Entbindung in die Hebammenpraxis gebracht und bei der Heimkehr das Neugeborene der fünfjährigen großen Schwester in die Arme gelegt. „Das war das einzige Mal, dass ich die Wohnung betreten habe“, ist sich Pasieka sicher.

Probleme von außen nicht erkennbar

Dass sich in der Nachbarschaft Probleme angehäuft haben müssen, hat die Vermieterin nicht gewusst. Dem äußeren Anschein nach gab sich die alleinerziehende Mutter immer sehr adrett.

Dass sie keiner Arbeit nachging und Leistungen nach Hartz IV bezog, wurde im gesellschaftlichen Umfeld der jungen Frau, die heute 34 Jahre alt ist, fraglos toleriert: „Sie hat ja die zwei Kinder.“

Die Miete wurde regelmäßig über das Jobcenter entrichtet. Dann kündigte die Frau den Mietvertrag zum 29. Februar dieses Jahres.

Danach wollte sie mündlich das Mietverhältnis für den März verlängern, Pasieka willigte ein. Diese Vereinbarung soll das letzte ruhige Gespräch zwischen beiden Parteien gewesen sein.

Im April verschwanden Mieterin und Anhang. Ohne ordnungsgemäße Übergabe von Wohnung und Schlüsseln.

Die Hinterlassenschaft offenbarte sich Pasieka erst im Mai. Dabei heißt es im Mietvertrag: Bei Auszug Urzustand wiederherstellen. Das Mietrecht spricht von „besenreiner Übergabe“.

Notbremse gezogen

Die Tatsachen sind andere. Seither liegen die Parteien im Clinch. An der Sachlage hat sich nichts geändert, obwohl schriftlich für den 26. Juni ein Räumungstermin angesetzt war.

Zuvor schon hatte Erika Pasieka mit Freunden und Bekannten einen Müllcontainer über 5,5 Kubikmeter bestückt. „Nachdem wir alles mit Fotos dokumentiert hatten, flog das Zeug raus. Bevor noch Ungeziefer reinkommt.“

Diese Notbremse war richtig, sagt Abramowski. Seine traurige Erfahrung: „Von Leuten, die ihre Wohnung so hinterlassen, sehen Vermieter oft keinen Cent.“ Und Erika Pasieka? Hofft, dass andere nicht so blauäugig sind wie ich.“ (mz)