5.000 Akten auf Dachboden Barbara Hoffmann war über 30 Jahre lang Direktorin des Arbeitsgerichts Dessau - jetzt nimmt sie Abschied
Anfangs sollte sie lediglich für ein halbes Jahr aushelfen. Weshalb sie weiterhin in Dessau blieb.

Dessau/MZ - An ihrem ersten Arbeitstag führte man Barbara Hoffmann auf den Dachboden. „Das“, wurde ihr erklärt, „sind Ihre Verfahren.“ Hoffmanns Blick schweifte über Kisten, in denen die Akten von 5.000 Arbeitsrechtsverfahren lagerten. Sie sollte sich darum kümmern. Es war der 3. September 1991, ein schöner Altweibersommertag, an dem die Arbeitsrichterin zum ersten Mal nach Dessau gefahren war. „Ich musste erst einmal auf die Karte schauen, wo das liegt.“
Sie wohnt immer noch in der Stadt, von der sie einst kaum mehr als den Namen kannte
April 2022: Verabredung im Bauhausclub mit Barbara Hoffmann. Seit einigen Tagen ist sie, die jahrelang als Direktorin das Arbeitsgericht Dessau geleitet hat, pensioniert. Sie wohnt immer noch in der Stadt, von der sie einst kaum mehr als den Namen kannte. „Ich bin heimisch geworden, anders wäre es ja auch schlimm.“
Geplant war das nicht. 1954 in Hamburg geboren, Jurastudium in Bonn, Referendariat in Köln, dann Richterin an den Arbeitsgerichten in Braunschweig und Celle. Von letzterem aus gesehen stand 60 Kilometer entfernt im Osten die Mauer. Das Land dahinter war Hoffmann dennoch nicht gänzlich fremd und unvertraut. Ihre Eltern stammten aus Leipzig, es gab verwandtschaftliche Kontakte in die DDR. Die Wende dort verfolgte sie „mit unglaublicher Spannung“.
Barbara Hoffman war „sofort Feuer und Flamme“ um nach der Wende in Dessau auszuhelfen
Nach der Wiedervereinigung wurde Niedersachsen das Partnerland Sachsen-Anhalts. Ganze Heerscharen von Beamten wurden vom Westen in den Osten geschickt. Als Barbara Hoffman gefragt wurde, ob die ein halbes Jahr aushelfen wolle, um in Dessau das Arbeitsgericht aufzubauen, war sie „sofort Feuer und Flamme“. Sie brach auf.
Arbeitsrechtliche Streitigkeiten, die vor Gericht ausgetragen wurden, gab es durchaus in der DDR: 1988 wurden 15.100 Klagen zu diesem Thema eingereicht. Doch mit der Wiedervereinigung kam nicht nur ein neues Rechtssystem, sondern es stieg die Zahl der Verfahren rasant, in Sachen Arbeitsrecht vor allem durch die Massenentlassungen. Noch 2002, als sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt halbwegs beruhigt hatte, wurden nur in Sachsen-Anhalt 22.000 Arbeitsrechtsklagen eingereicht. Ohne „West“-Juristen wäre es zunächst nicht gegangen, dafür brauchte es nicht einmal die Rauswürfe aus politischen Gründen.
Die ersten Jahre am Arbeitsgericht Dessau waren geprägt von Aufholarbeit
Wie baut man also ein Gericht auf, Frau Hoffmann? Man fährt zum Beispiel durch die Stadt und sucht nach Verhandlungssälen. Von denen gab es nämlich zu wenige am damals noch existenten Kreisgericht (dem heutigen Amtsgericht). Barbara Hoffmann wurde fündig: Im Rathaus, in einem Bürobau in der Langen Gasse, auf dem ehemaligen Gelände von Junkalor, im heutigen Eichamt. Es waren Richterinnen und Richter einzustellen, Personal für die Geschäftsstellen, das alles zog sich hin, immer wieder ließ Barbara Hoffmann ihre Abordnung verlängern. Sie lacht: „Ich habe den Absprung verpasst.“ 1996 ließ sie sich endgültig versetzen.
Die ersten Jahre am Arbeitsgericht Dessau waren geprägt von Aufholarbeit – liegengebliebene Fälle mussten erledigt werden. „Da haben die Kollegen bis in die Nacht gesessen. Aber wir hatten auch Spaß daran und das Adrenalin dafür.“
Mit kürzeren Unterbrechungen blieb Barbara Hoffmann bis zu ihrer Pensionierung Direktorin am Dessauer Arbeitsgericht
Ein Kuriosum des Anfangs: Zunächst konnten lediglich Güteverhandlungen stattfinden. Die ersten Kammerverhandlungen, in denen streitig bleibende Fälle behandelt werden, wurden erst ab Sommer 1992 anberaumt, weil erst von da an die nötigen ehrenamtlichen Richter bestellt waren. Etwas gegen die laienhafte Intuition konnten in den frühen 1990er Jahren jedoch viele Fälle gütlich beigelegt werden, denn bei Kündigungen stand zumeist außer Frage, dass der Arbeitsplatz schlicht und einfach nicht mehr existierte.
Mit kürzeren Unterbrechungen blieb Barbara Hoffmann bis zu ihrer Pensionierung Direktorin am Dessauer Arbeitsgericht. Was sich in der Zeit verändert habe? „Die Fälle sind komplexer und rechtlich schwieriger als in den Anfangsjahren.“