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Augenzeugenbericht Augenzeugenbericht: Hunderte Panzerfäuste liegen noch im Boden

Von Wladimir Kleschtschow 29.10.2002, 16:32

Köthen/MZ. - Auf dem weitläufigen Gelände in der Nähe des entstehenden Schwimmbades in Köthen liegen offenbar viel mehr Panzerfäuste aus dem 2. Weltkrieg im Boden, als bisher entdeckt. Nach Angaben von Marta Streiber aus Köthen seien 1945 etwas weiter von dieser Stelle entfernt, und zwar dort, wo ein Abflussgraben in die Ziethe einläuft, ebenfalls solche Waffen vergraben worden. Am Dienstag hatte die MZ über die Bergung von rund 50 Panzerfäusten zwischen dem neuen Bad und der Ziethe durch Experten des Kampfmittel-Beseitigungsdienstes berichtet.

"Mein Vater war Bademeister im damaligen Schwimmbad", sagte Frau Streiber gegenüber der MZ. "Mein Mann ist an der Front gefallen, und ich lebte mit meinem Sohn bei dem Vater, also in der Gegend, wo jetzt auch das neue Bad gebaut wird. Ich weiß noch, dass viele Panzerfäuste angeliefert und dort gelagert wurden. Zum Kriegsende wurden sie vergraben. Mein Vater zeigte mir nachher die Stelle, wo die Waffen im Boden liegen."

Nach eigenen Worten habe sie auch mit den Volkssturm-Leuten gesprochen, die gegen die heranrückenden US-Panzer eingesetzt werden sollten. "Das waren Kinder von vielleicht 12 Jahren", erinnert sich Frau Streiber. "Sie alle hatten eine schreckliche Angst und zitterten richtig. Mein Vater hat ihnen gesagt, sie sollen nach Hause abhauen, was sie dann auch taten."

"Es war eine furchtbare Nacht", so Frau Streiber weiter. "Die Amerikaner kamen aus Richtung Wülknitz, ihre Artillerie schoss, wir waren alle aufgeregt, keiner konnte schlafen. In dieser Nacht gab es in Köthen auch Tote, unter ihnen der Bäckermeister Große."

Während des MZ-Gesprächs mit Marta Streiber kam ihr Neffe Kurt Anton hinzu. Auch er erinnert sich an die Geschichte mit den Panzerfäusten. "Ich war damals ein Schuljunge", sagte Anton. "Die Schule war ja wegen des Krieges zu, ich hatte nichts zu tun. Da sollte ich meinem Großvater, dem Bademeister, helfen, Panzerfäuste aus einem großen Raum wegzuschaffen. Er hatte Angst, wir kriegen Ärger mit den Amerikanern, wenn sie die Waffen in unserer Nähe finden." Anton zufolge hätten sie zu zweit die Panzerfäuste am helllichten Tag in einem Handwagen abtransportiert und in der Nähe des Abflussgrabens vergraben. "Das waren Hunderte. Der große Raum, wo sie lagerten, war ja voll davon."

Nach Angaben von Kurt Anton seien die Panzerfäuste offensichtlich nicht scharf gewesen. "Dazu waren sie zu leicht", sagt er. "Wären sie einsatzfähig gewesen, hätten sie viel mehr Gewicht gehabt. Auch der Großvater sagte zu mir, die Panzerfäuste seien nicht scharf."

Diese Angaben erklären höchstwahrscheinlich die Tatsache, warum bei der Bergung am Montag zumindest in durchgerosteten Gefechtsköpfen kein Sprengstoff gefunden wurde. Sind aber tatsächlich alle Panzerfäuste, die noch in der Erde stecken, ohne Sprengstoff und ohne Zünder?

Marta Streiber sagt, sie habe die Behörden auf vergrabene Waffen aufmerksam gemacht. Wenn nötig, sind die Tante und ihr Neffe bereit, die beiden von ihnen beschriebenen Stellen noch ein Mal zu zeigen.