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Steuerbetrug Steuerbetrug in Bitterfeld: Erstaunliche Wendung im Dieselprozess gegen ChemCycle

Von Thomas Steinberg 07.03.2017, 09:11

Bitterfeld - Im Bitterfelder Dieselprozess ist der Hauptangeklagte von einem erheblichen Teil der Vorwürfe freigesprochen worden. Wegen Steuerhinterziehung in etlichen weiteren Fällen wurde er dennoch zu zehn Monaten auf Bewährung verurteilt und muss während seiner zweijährigen Bewährungszeit monatlich 1.000 Euro an die Staatskasse zahlen. Ein Mitangeklagter wurde zu einer Geldstrafe von 220 Tagessätze à 30 Euro verurteilt.

Den Freispruch gab es für einen Steuerbetrug von 6,5 Millionen Euro. Das Landgericht Dessau sah es als nicht erweisen an, dass Roland M. von der Steueranmeldung wusste, in denen importierter Diesel als Biokraftstoff ausgewiesen wurde.

Das Geschäft mit einer polnischen Firma wurde über Tschechien abgewickelt. Von dort aus wurden 2007 22 Millionen Liter Diesel an die Bitterfelder Firma ChemCycle geliefert, die zuvor auf Klebstoffe spezialisiert war und nichts mit Kraftstoffen zu tun hatte, aber über erhebliche Lagerkapazitäten verfügte.

Geschäftsabwicklung über eine Firma im Westerwald

M. sei, so das Gericht, gegenüber den zuständigen Hauptzollamt in Magdeburg nie aufgetreten, die Kontakte liefen über seinen Bruder und eine Sekretärin. Sie war nicht die einzige Zeugin, die bemüht schien, M. von den Vorwürfen zu entlasten.

Dabei waren die Zollfahnder vor zehn Jahren schnell stutzig geworden: Nicht nur, weil es einen anonymen Tipp gab, sondern weil das neue Geschäftsfeld rasant zu wachsen schien.

Obwohl das Interesse des Zolls offensichtlich erwacht war, es zu Durchsuchungen kam, reaktivierte M. nunmehr eine Firma im Westerwald. Deren Name: ChemCycle Horhausen. Die Firma hatte kein Personal, keine eigenen Räume und wurde, davon ist das Gericht überzeugt, nur zu einem Zweck gegründet – den Fiskus zu betrügen.

M., so Richter Steffen Caspari, „hatte aus den Erfahrungen in Bitterfeld gelernt“. Doch trotz auffälliger Parallelen weigerte sich das Gericht, M.’s Rolle in Horhausen als Indiz für eine ähnliche in Bitterfeld zu nehmen – die des Strippenziehers im Hintergrund.

Allein 300.000 Euro durch Vorsteuerbetrug

In Horhausen wurde ein ehemaliger Mitarbeiter M.’s, Peter R., zum Geschäftsführer bestellt. Viel zu tun, erklärte ihm M., habe er nicht, außer ab und an ein paar Papiere zu unterschreiben. Das Jahressalär für diese Tätigkeit: 30.000 Euro. R. muss klar gewesen sein, dass es um krumme Geschäfte gehen musste, hatte seine Beteiligung in einem Geständnis eingeräumt und gesagt, er sei für M. der Strohmann gewesen.

Über Horhausen wurden Schmiermittel aus Litauen als Diesel verkauft, ohne Energiesteuer anzumelden. Das brachte schon mal Ersparnisse von einer Million Euro. Weitere 300.000 Euro kamen durch Vorsteuerbetrug hinzu – auf den litauischen Rechnungen nie ausgewiesene Umsatzsteuer holte man sich als „Erstattung“ vom Finanzamt zurück. Zur Verschleierung der Geldströme wurde häufig ChemCycle Bitterfeld eingeschaltet.

Irgendwann flogen auch die Geschäfte in Horhausen auf. Bemerkenswert: Noch am Tag der Durchsuchung hob eine unbekannte Person 7.000 Euro von einem Firmenkonto ab.

Strafmilderung wegen langer Prozessdauer

Dass die Strafen unterm Strich niedrig ausfallen, hat nichts mit dem Alter der Angeklagten zu tun. Auch wenn beide um die 70 sind, einen Altersrabatt kennt das Strafrecht nicht.

Entscheidend waren vielmehr die Dauer des Verfahrens – fast zwei Jahre –, die Belastungen daraus, die lange zurückliegenden Taten und das bisher straffreie Leben der Angeklagten. R. konnte sich zudem sein Geständnis positiv anrechnen lassen.

Von R. hat der Fiskus 300.000 Euro zurückgefordert. Bei M. hat er sich, so klang es in der mündlichen Urteilsbegründung an, noch nicht gemeldet. Man darf indes sicher sein – wenn überhaupt, wird der Schaden nur zu einem Bruchteil ersetzt werden. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. (mz)