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Gedenken der Opfer Schwerstes Chemieunglück der DDR erschüttert Bitterfeld - Wie geht es den Zeitzeugen heute?

42 Todesopfer und 270 Menschen verletzt. Überlebende und Kommunalpolitiker erinnern am Mahnmal an das wohl schwerste Chemieunglück der DDR.

Von Sylvia Czajka Aktualisiert: 13.07.2022, 13:02
Gedenken der Opfer des wohl schwersten Chemie-Unglücks der DDR
Gedenken der Opfer des wohl schwersten Chemie-Unglücks der DDR (Foto: André Kehrer)

Bitterfeld/MZ - Narben am Kopf und auf dem Rücken. Die spürt Jürgen Springer immer mal wieder. Dann sind sie da, die Erinnerungen an jenen Tag, der tiefe Wunden im Herzen von Bitterfeld hinterließ. Es war der 11. Juli 1968. Um 14 Uhr stieg ein „Atompilz“ auf, wie die Zeugen wegen der Form die Wolke nannten. Die Stadt explodierte förmlich, erzählt man sich in Bitterfeld. Es war das wahrscheinlich schwerste Chemieunglück der DDR.

42 Opfer, 270 Menschen werden verletzt

2019, genau 51 Jahre nach der Katastrophe, enthüllten in der Zörbiger Straße Zeitzeugen und Überlebende das Mahnmal aus Edelstahl mit den Namen der 42 Opfer. An jenem 11. Juli hatte sich im PVC-Werk des Elektrochemischen Kombinates Bitterfeld (EKB) Vinylchlorid-Gas entzündet. Durch die Explosion wurden mehrere Chemieanlagen in Schutt und Asche gelegt und 270 Menschen verletzt. Die Explosion war kilometerweit zu hören und verursachte eine riesige Rauchwolke.

Lang, lang ist’s her und bleibt doch unvergessen. An jenem schicksalsreichen Tag kommen jedes Jahr Überlebende, Hinterbliebene, Kommunalpolitiker und Augenzeugen am Mahnmal zusammen, um sich an das Unfassbare zu erinnern. Gottfried Schuster ist einer von ihnen, der nichts vergessen hat. Niemals. Damals war er 17 Jahre alt, steckte mitten in der Ausbildung zum Chemiefacharbeiter mit Abitur. Drei Klassenkameraden starben. Schuster hatte Glück. „Ich war damals in einer anderen Schicht eingeteilt.“ Helmut-Jürgen Rothe eben nicht. Er überlebte schwer verletzt. „40 Prozent meiner Haut waren verbrannt. Ein halbes Jahr musste ich pausieren“, erzählt er. Aber Rothe hat es überlebt, andere leider nicht. An sie muss er oft denken. „So etwas vergisst man nie.“

Nach der Explosion im Elektrochemischen Kombinat Bitterfeld
Nach der Explosion im Elektrochemischen Kombinat Bitterfeld
(Foto: Kreisarchiv)

Andenken bewahren

Das Denkmal in der Zörbiger Straße wurde zu einem Ort der Begegnungen. Nicht nur am 11. Juli, weiß Bitterfeld-Wolfens Oberbürgermeister Armin Schenk (CDU). Der erinnerte in seiner Rede noch mal an die Errichtung des Mahnmals und ihm fällt beim Vorbeifahren auf, dass immer frische Blumen am Ort des Gedenkens niedergelegt werden. „Wir werden das Andenken an die Opfer immer in Ehren halten“, da ist sich Schenk ganz sicher.

So sehen es auch Sieglinde und Jürgen Springer. Beide erinnern sich noch an die Angst, die sie spürten. Sie wartete am 11. Juli 1968 am Tor auf ihren Mann, der in der Kesselschmiede des EKB arbeitete. Er kam aber nicht. Und da war sie, die Sorge. Die Ungewissheit. Eine Holzpalette hatte ihn bei der Explosion am Kopf getroffen. Springer wurde ins Krankenhaus gebracht. Er hat es überlebt. Gott sei Dank!