RTL2- Doku "Hartz und herzlich" RTL2 "Hartz und herzlich": Ortsbürgermeister von Wolfen spricht von Rufmord

Wolfen - André Krillwitz ist sauer wie selten. Der Ortsbürgermeister von Wolfen (Pro Wolfen) sieht durch die RTL2-Doku „Hartz und herzlich“ die ganze Stadt diskreditiert, wie er sagt. „Das grenzt schon an Rufmord.“
Hannelore Finke und Reinhard Waag, die gleich nach der Wende in Bitterfeld den Arbeitslosenselbsthilfeverein gegründet haben, ist das Klischee, das für Langzeitarbeitslose gilt, nicht fremd. Sie kennen Leute, wie sie das Fernsehteam des Privatsenders in Wolfen-Nord mit sicherer Hand ausfindig gemacht hat.
RTL2-Doku ist nicht die ganze Wahrheit
„Das ist nicht die ganze Wahrheit“, sagt Finke. „Ja, es gibt viele Hartz-IV-Empfänger und sie sind Teil unserer Gesellschaft. Aber weiß Gott nicht alle kann man in diese Ecke schieben, in der Leute wie Jenny sitzen. Es gibt eben auch die, die da raus und arbeiten wollen. Und solche, die arbeiten, aber so wenig verdienen, dass sie aufstocken müssen.“
Unbestritten - auch diese Schicksale zu finden, hat sich das Fernsehteam bemüht. Allerdings zeichnet es trotz allem ein Bild, das zu hinterfragen ist. In manchen Szenen spürt man so etwas wie Häme, mit der die RTL2-Mannschaft die Hilflosigkeit der Wolfener beschreibt: Alleinstehende Mütter mit bis zu vier Kindern.
Wie viele Kinder mögen wohl die Filmemacher und Kameraleute haben, die hier in dieser Folge aus Hartz IV Fernsehunterhaltung machen? Wissen sie, wie schwer es sein kann, auch nur für ein einziges Kind da zu sein - und das mit kaum Geld in der Tasche? Es ist leicht, als verdienender, kinderloser Yuppie sich darüber lustig zu machen.
Einfache Leute werden von RTL2 „missbraucht“
„Hartz und herzlich“ funktioniert, wie eben Privatfernsehen funktioniert: Einfache Leute werden missbraucht, um die Zuschauer zu amüsieren. Eins aber muss man zu diesem Teil der Fernsehserie auch sagen, nämlich, dass der Bitterfeld-Wolfen nicht insgesamt vorführen wollte wie das das öffentlich-rechtliche ZDF mit seiner so genannten Reportage „Mein Land, Dein Land“ getan hat. Es war bei dieser Folge von „Hartz und herzlich“ nämlich auch möglich, sich in Menschen einzufühlen wie in Single-Mann Roland oder die sympathische junge Familie, für die es das Schönste war, sich einen Tag im Tropical Island leisten zu können.
Wie auch immer - Hannelore Finke kann Arbeitslosen nachfühlen, sagt sie, denn „Arbeitslosigkeit macht krank“. Das habe sie damals am eigenen Leib erfahren, als sie selbst den Job verlor und sie damals den Selbsthilfeverein gründeten. Doch hat sich die Zeit verändert. Standen anfangs die Leute dort Schlange, sei das heute nicht mehr so.
„Wir haben jetzt die Generation, die Hartz IV geerbt und von der sich viele damit arrangiert haben“, so Finke. Jenny zum Beispiel, die alleinerziehende vierfache Mutter. Ihr ist der Alltag, zu dem noch zwei Hunde gehören, längst über den Kopf gewachsen. „Geld vom Amt ist das eine“, sagt Reinhard Waag dazu. „Hilfe, mit der solche Leute ihre Situation in den Griff kriegen, die andere.“
Forderungen an die Politik: Betroffenen müsse mehr Teilhabe ermöglicht werden
Er und Finke ziehen den Bogen weiter. Sie fordern von der Politik, das Problem generell anders anzugehen, um den Betroffenen mehr gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Soziale Ungerechtigkeit, sagt Waag, sei das Grundübel für politische Entwicklungen, über die heute viele plötzlich erstaunt seien. „Die Leute spüren, wenn was nicht stimmt.“
Jugendamt hat Kontakt mit Protagonisten der Sendung aufgenommen
Der Landkreis übrigens hat zunächst auf seine Art reagiert und mitgeteilt: „Aufgrund der Reportage sowie wegen der Anrufe ist der Landkreis auf in der Sendung gezeigte Erwachsene und Kinder aufmerksam geworden. Bereits am Folgetag hat das Jugendamt Kontakt mit entsprechenden Personen aufgenommen.“
Wolfens Ortsbürgermeister indes will mit noch ganz anderen Personen Kontakt aufnehmen. Krillwitz heißt nicht Schreck, geht es um Wolfen. Doch seine Versuche, den RTL2-Geschäftsführer ans Telefon zu kriegen, seien ins Leere gelaufen, sagt er. Bis jetzt. (mz)