Mit dem Landauer von Heideloh nach Großzöberitz
HEIDELOH/MZ. - "Es waren schlechte Zeiten", sagt Charlotte Lehmann, als sie sich an das Frühjahr 1945 und den 31. März, ihren Hochzeitstag, erinnert. Es war eine Zeit, in der nicht mal ein Hochzeitsfoto gemacht werden konnte. Hellmut Lehmann, der neben seiner Frau auf seinem Stammplatz am Wohnzimmerfenster sitzt, nennt die Zeit "aufregend". Womit er nicht die Fahrt mit dem Landauer zur Kirche in Großzöberitz meint, sondern das Ende des Krieges. "Ein paar Tage nach der Hochzeit saßen wir im Keller, weil Heideloh beschossen wurde." Sie sind davongekommen, konnten am Mittwoch mit Tochter Rita und Enkelsohn Jens eiserne Hochzeit feiern. Dazu gab es Glückwünsche von der Landesregierung, von der Kreisverwaltung und der Stadt Sandersdorf-Brehna.
Unter den Gratulanten war auch Ortsbürgermeister Karl Blaha, dem Hellmut Lehmann noch immer dankbar ist, dass er ihm beim Studium der Ingenieur-Ökonomie in Mathe geholfen hat. "So habe ich alle Prüfungen bestanden", sagt der 89-Jährige. In den sieben Semestern an der Technischen Hochschule in Leipzig sei einiges verlangt worden, auch von einem 50-Jährigen, der nur den Abschluss der 8. Klasse vorweisen konnte.
Während Charlotte Lehmann in Stoyes Landwirtschaft in Heideloh, dann als "Mädchen für alles" in der Apotheke Finger in Zörbig, bei Fleischer Knoll in Bitterfeld und in den letzten 28 Berufsjahren im "Haus des Friedens", einem Wohnheim des CKB, gearbeitet hat, ist ihr Mann immer viel unterwegs gewesen. Ab 1939 war er dienstverpflichtet in der Organisation Todt, einer Bautruppe, die in den von Deutschland besetzten Gebieten eingesetzt wurde. Zu DDR-Zeiten waren das Mansfeld-Kombinat, Leuna II, das Stickstoffwerk in Piesteritz berufliche Stationen. In Bitterfeld war er ebenfalls als Ingenieur-Ökonom tätig - und das sogar bis zu seinem 70. Lebensjahr.
Auch wenn die Sehkraft nachlässt, mit Zeitungen und Rätseln beschäftigt er sich immer noch gern. Und mit Schillers "Glocke", die will er noch einmal auswendig lernen. Seinen wachen Verstand bekommen auch seine Gratulanten zu spüren. Wie es um den Haushalt bestellt ist, erkundigt er sich bei Bürgermeister Andy Grabner. Und von Karl Blaha will er wissen, ob die Treppe zum Wahllokal endlich in Ordnung gebracht worden ist. So schlecht könnten die Zeiten doch gar nicht sein, dass da nichts zu machen wäre.