Jeßnitz Jeßnitz: Erinnerung an das Hochwasser
JESSNITZ/MZ. - Ein bisschen derb, direkt, vor allem aber gerade heraus. "Ehrlich", meint der Gütersloher, der die weiteste Anreise aller Gäste zum dritten Heimatfest in der Muldestadt, das am Samstag gefeiert wurde, hatte.
Seine Reise ist kein Zufall. Kaldenbach, der bei Bertelsmann sein Geld verdiente, ist Mitglied des Heimatvereins. "Einer von 17", wie dessen Vorsitzender Olaf Luther vorrechnet. Doch der 84-jährige Kaldenbach ist mehr. Auch wenn er 1947 als 21 Jahre junger Mann praktisch über Nacht Jeßnitz den Rücken kehren musste: Er fühlt sich immer noch als Jeßnitzer. "Weil ich hier eine schöne Jugend hatte, weil mein Elternhaus hier steht."
Die Rührung ist schwer zu verbergen. "Aber so war das damals. Ich war den Russen ein Dorn im Auge." Der Zorn ist längst gewichen, Paul Kaldenbach wieder angekommen in seinem Jeßnitz. Gemeinsamkeit haben sich hier die Mitglieder des Heimatvereins auf die Fahnen geschrieben. "Weil wir zeigen wollen, dass gemeinsam viele Dinge auf die Beine zu stellen sind", sagt Olaf Luther. Dass dies nicht nur in Ausnahmesituationen wie der Jahrhundertflut vor acht Jahren möglich ist, soll das Heimatfest beweisen. Ungezwungen wollen sie hier zusammen sein, den Alltag sacken lassen und nach vorn blicken. Doch Erinnerung an die Flut bleibt nicht außen vor.
Und das gerade dann, wenn auf den Tag genau gefeiert wird, an dem 2002 Jeßnitz im Wasser versank. "Unser Fest soll immer an dem Wochenende sein, das dem 14. August am nächsten kommt", erklärt Luther. "Dieses Jahr trifft es genau zu."
Luthers Erinnerung ist nicht verblasst. Er redet davon, wie sie am 13. den gerade ausgebauten Keller leer räumten und am 14. zusehen konnten, wie das Haus voll Wasser lief. Alles sei so real gewesen, dass es fast schon unwirklich aussah, meint der Chef des Heimatvereins, der nur einer von Hunderten in Jeßnitz war, dem das Wasser buchstäblich bis zum Halse stand.
Die Muldestädter rückten zusammen, beweisen Gemeinsamkeit, die sie auch beim Fest im Park der Grundschule zeigten. Sie können anpacken, sind gerade heraus. So, wie es Paul Kaldenbach liebt. Der zögerte 2002 nicht lange. Bettwäsche und Kleidung gingen auf die Reise, auch 2 000 Euro. "Die haben wir an vier Familien in der Schlossstraße verteilt", erinnert sich Kaldenbach. "Dort, wo mein Elternhaus steht."
Namen fallen ihm nicht mehr ein. Denn es seien doch flüchtige Begegnungen gewesen damals. "Und die Leute hatten so viel zu tun. Die hatten keine Zeit für lange Gespräche." In Jeßnitz erinnert man sich gern an Helfer wie den Gütersloher. "Das waren so viele, die damals zu uns kamen. Privatpersonen, Feuerwehren, Armee", weiß Ortsbürgermeister Helmut Ernst (parteilos) und glaubt, dass das der Grundstein gewesen sei für den schnellen Wiederaufbau in der Muldestadt.
Dass "Aller juhten Dinge dreie" sind, verhehlt auch Ernst nicht. Doch auf Drei folge die Vier, erklären die Mitglieder des Heimatvereins, für die das Fest mit Musikprogramm, Auftritt von Kita und Grundschule ein echter Kraftakt war. Weil der glückte, gönnten sie sich zum Schluss einen Schluck. "Spiddelbriehe" - derbe Sprache, guter Geschmack.