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Hochwasser in Bitterfeld Hochwasser in Bitterfeld: Die Goitzsche-Visite der Kanzlerin kommt nicht nur gut an

Von Lisa Garn und Kai Gauselmann 06.06.2013, 14:12
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) besucht einen Hochwasserschwerpunkt an einem Deich aus Sandsäcken in Bitterfeld-Wolfen (Sachsen-Anhalt).
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) besucht einen Hochwasserschwerpunkt an einem Deich aus Sandsäcken in Bitterfeld-Wolfen (Sachsen-Anhalt). dpa Lizenz

Bitterfeld-Wolfen/MZ - Nach fünf Tagen Kampf gegen das Hochwasser können schon mal die Nerven blank liegen: „Wahlkampf kann man auch woanders machen!“, schimpft ein Transporterfahrer. „Wir warten schon eine dreiviertel Stunde, dass es weitergeht!“ Anlass der Wut: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Die Kanzlerin besuchte am Donnerstag die Helfer am Sandsackdamm der Goitzsche in Bitterfeld-Wolfen. Wobei Merkels Tross aus Politikern, Sicherheitsleuten und Journalisten den Weg am Deich und damit den Sandsack-Nachschub versperrte. Die Helfer hatten Zwangspause.

Was Merkel an der Goitzsche besichtigt, ist ein Kontrast zu ihren anderen Flut-Stationen: Strahlend blauer Himmel, der See plätschert friedlich auf den Sandstrand, junge Soldaten mit freiem Oberkörper und Cowboyhut schwitzen in der Sonne, Grillschwaden wehen herüber: Die Szenerie oberhalb des Badestrandes hat etwas von Beachparty-Atmosphäre. Bitterfeld ist hier nicht Grimma. Sondern Grimma vor der Überflutung: Das Hochwasser aus der Mulde drückt in den benachbarten Seelhausener See. Der ist vollgelaufen und liegt sieben Meter höher als die Goitzsche. Brechen dort die Deiche, läuft die Goitzsche schlagartig über - und Bitterfeld voll. „Das Risiko eines Tsunamis besteht“, erklärt Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) der Kanzlerin.

Die 500 Meter aus bunten Plastik-Säcken, die Merkel mit ihrem Tross abschreitet, gehören zur letzten Linie: dem Damm, der die Innenstadt vor dem Tsunami retten soll. Merkel erklettert zwei Sandsackreihen, lugt auf den stillen See, schüttelt alle paar Meter Hände. Fragt Soldat Alexander Becker aus Magdeburg nach der Zusammenarbeit mit den Zivilisten: „Das funktioniert gut, sowas erlebt man selten!“ Pauschal verspricht Merkel Hilfe: „Wir tun, was möglich ist.“ Eine junge Soldatin fragt Merkel, ob diese so viele Sandsäcke schleppen muss wie die Männer. Klar, gibt die junge Frau keck zurück. „Wir haben Muckis!“ Die Kanzlerin lächelt und lobt die Helfer: „Das ist wunderbar, was hier den Zusammenhalt anbelangt.“ Trotz der Tsunami-Drohkulisse eine recht lockere Stimmung beim Katastrophenbesuch. Wenn da der wütende Transportfahrer nicht wäre. Merkel bekommt das Schimpfen nicht mit, Haseloff schon. Er lotst Merkel zügig weiter: „Bitte, es muss weitergehen.“ Tut es auch in anderem Sinne, Haseloff kann einen Fortschritt verkünden: dass die Tsunami-Gefahr gebannt ist. Es fließe mehr Wasser aus dem Nachbarsee zurück in die Mulde. Das habe sich just zum Merkel-Besuch ergeben und sei „ein kleines Wunder“. Der Kanzlerin will er das aber nicht zurechnen: „Das ist fast ein historischer Zufall.“

Der Krisenstab Anhalt-Bitterfeld war vorsichtiger. Der Abfluss aus dem Seelhausener See war bis zum Nachmittag trotz einer zweiten Sprengung am Mittwochabend noch gering. Die freiwillige Evakuierung bleibt erst einmal bestehen. Die Bitterfelder hatten auf eine weitere Deich-Sprengung am Nachbarsee gedrängt. Doch der liegt zu einem guten Teil in Sachsen. Und der Kreis Nordsachsen wollte von einer dann dritten Sprengung nichts wissen - wegen des Risikos, dass dann Orte in Sachsen überflutet werden könnten. Stattdessen wurden mit Hochdruckpumpen Reste eines teilweise gesprengten Deiches weggespült. Das soll erfolgreich gewesen sein. „Ich habe die Sprengung verhindert. Der Krisenstab in Anhalt-Bitterfeld hat die Entscheidung mitgetragen. Nun ist ja Gott sei Dank alles in Ordnung“, sagt Nordsachsens Landrat Michael Czupalla (CDU).

Alles ist für Petra Wust (parteilos), Oberbürgermeisterin von Bitterfeld-Wolfen, nicht in Ordnung. Sie fordert eine bessere Zusammenarbeit beim Hochwasserschutz. „Wir müssen zu einer Lösung kommen.“ Haseloff meint, beide Krisenstäbe sollten die Erfahrungen „auswerten“. Und der Merkel-Besuch werde helfen. Goitzsche und Seelhausener See fallen als Bergbau-Folgelandschaft in die Zuständigkeit des Bundes. Unter anderem müssten in Sachsen Deiche zurückgebaut werden, damit Überflutungsflächen entstehen. Er habe Merkels Wort, dass sie sich kümmere: „Darüber werden wir sprechen.“

So endet die Merkel-Visite schiedlich-friedlich. Auch für die Helfer. „Klar hält das einen Moment auf“, sagt die 25-jährige Caroline Meier. „Aber ich finde es gut, dass Merkel sich hier selbst ein Bild macht. Das macht Mut.“