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Filmfabrik Wolfen Filmfabrik Wolfen: Bunte Welt kommt aus Wolfen

08.04.2015, 07:22
Szene aus „Die goldene Stadt“ - einem der ersten Agfa-Farbfilme.
Szene aus „Die goldene Stadt“ - einem der ersten Agfa-Farbfilme. Archiv Lizenz

Wolfen - Jahrzehntelang war die Filmfabrik einer der größten Arbeitgeber der Region. Zwischen 1910 und 1994 haben wahrscheinlich mehr als 100.000 Menschen hier gearbeitet. Die Filmfabrik Wolfen war bis 1960 Weltmarktführer in Sachen Farbfotografie. Das Agfacolor Neu-Verfahren von 1936 in Wolfen entwickelt, leitete die Farbfotografie für Jedermann ein, verhalf dem Farbkinofilm zum Durchbruch und veränderte die Welt.

Zeitzeuge erforscht Historie

Doch wer kennt den komplexen Aufwand, der zur Erzeugung von hochwertigen Bildern auf fotochemischer Basis zu betreiben war? Im jetzt im Fruehwerk-Verlag erschienenen Buch von Erhard Finger „In Farbe – Agfa-Orwo-Farbfotografie“ wird die Geschichte umfassend dargestellt. Finger, Diplom-Chemiker, der von 1960 bis 1997 in der Filmfabrik Wolfen tätig war, ist einer der letzten Zeitzeugen.

Er hat die historischen Zusammenhänge der Entwicklung der Filmfabrik erforscht und dokumentiert. Im Buch gibt er einen spannenden Überblick über die Entwicklung der Farbfotografie, von den ersten Ansätzen zur Darstellung eines farbigen Bildes bis hin zum Übergang in eine neue Technologie der Bildaufzeichnung, die Wolfen nicht mehr mitgestalten konnte.

Erste Gesamtdarstellung

Die Entwicklung der Agfa/Orwo- Farbfilmforschung und -produktion ist in vielen Einzelveröffentlichungen beschrieben worden. Eine zusammenhängende Darstellung existierte bisher nicht. Gerade das erfüllt nun das Buch von Erhard Finger. Ein gesondertes Kapitel befasst sich mit bisher unveröffentlichten Forschungsarbeiten, die zwar zu keiner regulären Produktion führten, aber für die Interpretation von Entscheidungen des Managements von Interesse sind.

Die rund 200 Bilder und Grafiken dokumentieren die Leistungsfähigkeit der Verfahren. Zugleich sind sie Dokumente - wie die Bilder von den Olympischen Spielen in Berlin und Garmisch Partenkirchen oder die von Persönlichkeiten wie Gagarin oder Chrustschow belegen. Fotos ehemaliger Außendienstmitarbeiter der Filmfabrik dokumentieren die Orwo-Präsenz auf vier Kontinenten. Bilder von Bitterfeld-Wolfen und dem Umfeld aus dem Jahre 2011, aufgenommen auf speziell gelagerten OrwoChrom-Film der letzten Produktion 1994, verbinden Vergangenheit und Gegenwart.

"Bewahrung von Kulturgut"

Gert Koshofer von der Deutschen Gesellschaft für Photographie beschreibt in seinem Vorwort die Bedeutung der Publikation im Hinblick auf die einschneidenden Veränderungen auf dem Gebiet der Fotografie der letzten Jahrzehnte so: „In Anbetracht des raschen Übergangs von der filmbasierenden Fotografie zur Digitalfotografie ist es verdienstvoll, wenn sich ein Buch mit der traditionellen Geschichte eines der ehemals größten Filmhersteller, der Filmfabrik Wolfen, befasst.“ Und Dr. Peter Löhnert, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Filmfabrik Wolfen AG, fasst es so zusammen: „Die Ausarbeitung diese Buches ist ein wesentlicher Beitrag zur Bewahrung von deutschem Kulturgut.“

Etwa 15 Jahre hat der Autor an diesem Buch gearbeitet, recherchiert und Berichte von Zeitzeugen eingebunden. Dr. Günter Matter, ehemals Abteilungsleiter in der Technologischen Forschung und Entwicklung der Filmfabrik, übernahm die Lektorenarbeit, gestalterische Aufgaben und organisierte als Herausgeber das Projekt.

PC7-Filmstreifen als Lesezeichen

Und damit auch die Jüngeren im wahrsten Sinne des Wortes begreifen können, was ein fotografischer Farbfilm ist, wurde dem Buch ein PC7-Filmstreifen von Orwo als Lesezeichen beigefügt.

Zum Inhalt des Buches: Vor knapp 100 Jahren brachte die Actien-Gesellschaft für Anilin-Fabrikation (Agfa) nach intensiver Forschung ihr erstes farbfotografisches Erzeugnis, die „Agfa Farben-Platte“ zur Anfertigung von Farbdiapositiven, auf den Markt. Damit begann der Aufbau eines riesigen Sortimentes von Materialien für die Farbfoto- und -kinematografie. Ab 1928 verlagerte die Agfa Forschung und Produktion der Farbmaterialien von Berlin in die 1909/10 errichtete Filmfabrik Wolfen. Anfang der 30er Jahre führte man ein Verfahren ein, das die Herstellung zweifarbiger Kinofilme ermöglichte. Der 1931 gedrehte Ufa-Streifen „Bunte Tierwelt“ im Tierpark Hagenbeck Hamburg, der nach dieser Technologie entstanden war, ist der erste farbige deutsche Kinofilm.

Beste farbfotografische Sortiment

Weitere Verfahren zu Herstellung farbiger Kino- und Schmalfilme sowie Farbdiapositive wurden in den Wolfener Forschungslabors entwickelt. Die Filmfabrik hatte damit das vielfältigste und qualitativ beste farbfotografische Sortiment der Branche. Mit dem Agfacolor Neu-Verfahren zur Herstellung von Farbdiapositiven (1936) und der Weiterentwicklung der Technik zur Produktion von Kinofilmen und Papierbildern leitete die Filmfabrik die Farbfotografie für Jedermann ein und verhalf dem Farbkinofilm zum Durchbruch. Nach dem ersten deutschen Farbspielfilm „Frauen sind doch bessere Diplomaten“ (1941) folgten noch in den Kriegsjahren rund ein Dutzend weiterer Streifen - so „Münchhausen“, „Die goldene Stadt“ und andere mehr.

Die Grundidee des Mehrschichtenfarbfilms mit fest in den Schichten verankerten Farbbildnern und Farbstoffen bildet bis heute prinzipiell die Basis der noch immer produzierten Farbfilme und Fotopapiere.

Das in Wolfen ausgearbeitete Verfahren war eine Erfindung von historischer Tragweite. 1964 trennte sich die Filmfabrik vom Warenzeichen Agfa und vertrieb seitdem auch die Farbmaterialien unter dem neuen Markennamen Orwo. Mit der Einleitung der Liquidation der Filmfabrik Wolfen 1994 wurde auch die Fertigung von Farbfilmen eingestellt. Damit endete die Herstellung farbfotografischer Materialien am traditionsreichen Standort Wolfen nach 63 Jahren. (mz)

Die Filmfabrik Wolfen kurz nach der Wende. 1994 wurde die Liquidation des Betriebes eingeleitet.
Die Filmfabrik Wolfen kurz nach der Wende. 1994 wurde die Liquidation des Betriebes eingeleitet.
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Mit einer Schornstein-Sprengung beginnt 1992 der Abriss der Filmfabrik.
Mit einer Schornstein-Sprengung beginnt 1992 der Abriss der Filmfabrik.
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