Filmfabrik Filmfabrik: Die Madonna kehrt zurück
Wolfen/MZ. - Wer weiß schon, dass Bitterfeld-Wolfen auf ganz besondere Weise mit der Madonna verbunden ist? Als das Bild im Oktober 1955 aus der Sowjetunion in die DDR zurückkehrte, erhielt Christa Lühr, Testfotografin in der Filmfabik Wolfen, einen ganz besonderen Auftrag. Sie war diejenige, die das Kunstwerk in Berlin mit professioneller Technik fotografieren sollte. "Die Sixtinische Madonna ist wieder da - wir müssen Aufnahmen für die Werbung machen", so erinnert sich die heute 93-jährige Wolfenerin an die Worte ihres Chefs. Irgendwie muss die Filmfabrik von der Rückkehr des 1945 in die Sowjetunion gebrachten Dresdener Gemäldes erfahren haben. Es war eine Station in der 500-jährigen Geschichte des Kunstwerkes, allerdings eine wenig bekannte.
Auf einer Odysee nach Wolfen
Wie kam das Gemälde überhaupt dorthin? Fest steht, dieses überaus wertvolle Bild hat eine kleine Odyssee hinter sich. Im zweiten Weltkrieg begann das NS-Regime mit der Sicherung von Kulturgütern. Bedeutende bewegliche Kunstschätze wurden ausgelagert. So auch Dresdener Gemälde wie die "Sixtinische Madonna" - zuerst in die Albrechtsburg Meißen und Ende 1943 in einen stillgelegten Eisenbahntunnel bei Pirna. Eine Trophäenkommission der Roten Armee entdeckte im Mai 1945 die Kunstschätze und transportierte sie in die Sowjetunion. Dort wurde die Madonna im Puschkinmuseum in Moskau eingelagert.
Für andere feststehende Kunstschätze in Deutschland und den besetzten Gebieten - Wandmalereien und Stuckarbeiten in Schlössern und Kirchen - hatte man sich in Wolfen etwas anderes einfallen lassen: Diese wurden fotografiert. Für die Kampagne "Führerauftrag Monumentalmalerei" wurden die besten Fotografen engagiert, und sie benutzten den besten Film: Agfacolor Kunstlicht Umkehrfilm aus Wolfen. So entstanden 40 000 Kleinbild-Farbdiapositive von 480 Gebäuden, unter anderem vom Schloss Zerbst und Kunstdenkmälern in Dessau und Wörlitz.
Eine solche professionelle Fotoaktion war für die Sixtinische Madonna ursprünglich nicht vorgesehen, denn man wähnte das Kunstwerk sicher. Doch plötzlich war es weg. Erst nach der Rückkehr der Beutekunst aus der Sowjetunion konnte das Werk unter zwar provisorischen aber doch professionellen Bedingungen farbfotografisch reproduziert werden.
Zwei Tage nach dem überraschenden Anruf aus Berlin packten die Fotografin und der Leiter der Filmentwicklung die Koffer und fuhren mit immenser Studiotechnik zur Galerie der "Alten Meister" nach Berlin. Von den Aufnahmen sollten bis zu 80x110 cm große Werbebilder angefertigt werden.
Wow! Der erste Eindruck war überwältigend. Die Madonna stand auf einer Staffelei allein im Raum, als Christa Lühr den Raum betrat. 56 Jahre danach sagt sie: "Ich war überwältigt. Mit Ehrfurcht stand ich vor dem Originalgemälde, von dem ich bisher nur gehört hatte. Die Engelchen allerdings waren mir als Stammbuchbilder seit Jahren allgegenwärtig".
empfindlichster Farbfilm seiner Zeit
Mit dem 1954 eingeführten Agfacolor Ultra-Film aus Wolfen stand der damals höchstempfindliche und qualitativ beste Farbfilm des Marktes zur Verfügung. Und die dadurch möglichen relativ geringen, das Gemälde schonenden, Beleuchtungsstärken dürften für die Fotografiererlaubnis eine Rolle gespielt haben. Schließlich beanspruchten die Aufnahmen, insbesondere die Ermittlung der optimalen Ausleuchtung, mehrere Stunden. Der Raum, in den das Kunstwerk gebracht worden war, wurde zum Fotostudio ausgebaut. Schließlich musste er abgedunkelt werden, um das Gemälde, bestrahlt von sechs 500-Watt-Lampen, ins rechte (Kunst)-Licht zu rücken.
Die diplomierte Fotografin und Gastdozentin an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig hatte schon viele Aufnahmen in der Mode- und Theaterbranche in Berlin, Magdeburg und Leipzig gemacht, die Aufnahme von Deutschlands berühmtesten Gemälde war jedoch eine besondere Herausforderung. Schließlich waren es die wahrscheinlich ersten Farbreproduktionen dieses Kunstwerkes.
Assistiert wurde die Fotografin von Walter Gröschel von der Filmentwicklungsabteilung, der nach der Rückkehr die etwa einen Quadratmeter großen Diapositive und Papierbilder angefertigte hatte. Trotz der ungünstigen Aufnahmebedingungen in dem provisorischen Fotostudio entstand ein fotografisches Kunstwerk, das in der Fotobranche für Beachtung sorgte.
Auf Fotoausstellungen und Messen machten einerseits die großformatigen Diapositive, die etwa 15 Jahre der Öffentlichkeit verborgene "Sixtinische Madonna" bekannt und andererseits zeugten die Bilder vom Leistungsvermögen des Wolfener Farbfilms. Das Bild fand Eingang in die Fotofachliteratur. Ende April / Anfang Mai 1956 erreichte das Gemälde wieder Dresden und konnte nach der Wiedereröffnung der Gemäldegalerie "Alte Meister" am 3. Juni 1956 nicht mehr nur als Farbfotobestaunt werden.
Mit der weiterentwickelten Farbfotografie konnten die Dresdener Kunstschätze nun aber auch Kunstinteressierten in aller Welt nahezu originalgetreu nahegebracht werden. Das US-Magazin Life publizierte im selben Jahr eine Farbfotoserie, in der auf die erste große Nachkriegspräsentation der Dresdener Gemälde verwiesen wird. Und sicherlich war die Rückkehr der Sixtinischen Madonna ein wesentlicher Grund für die Fotodokumentation der Kunstschätze, die vor rund 15 Jahren Dresden verlassenen hatten.
In einer Sonderausstellung wird derzeit (bis 26. August) im Sepmerbau in Dresden zum 500. Geburtstag des Gemäldes auch die Historie des Bildesnachvollzogen.