Erste Hilfe Erste Hilfe: Jede Minute zählt
Bitterfeld/MZ. - Ein Mittfünfziger sucht Ausgleich, joggt und sackt unvermittelt zusammen. Ähnlich die Situation bei einer Geburtstagsfeier. Auch dort ringt ein Mann mit dem Tod. Herz und Kreislauf haben versagt, Hilfe ist nötig. "Nicht irgendwann, sofort", sagt Jens Heidrich, Oberarzt in der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin des Gesundheitszentrums Bitterfeld / Wolfen. Er will nicht mit dem Finger auf irgendwen zeigen. Aber wachrütteln und an die Vernunft appellieren möchte der Mediziner. Zeit, betont er, sei der entscheidende Faktor in solchen Fällen, die praktisch jederzeit und überall auftreten können: durch Herzinfarkt oder Lungenembolie, nach einem Stromschlag bei Malerarbeiten in den eigenen vier Wänden, durch Vergiftungen, allergische Reaktionen nach Insektenstichen oder bei Verkehrsunfällen.
Drei bis acht Minuten kann das Gehirn ohne Sauerstoffzufuhr auskommen. Danach bleiben Schäden mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht aus. "Das verändert alles: den ganz normalen Alltag, die Lebensvorstellungen." Heidrich hat bewusst vom Jogger und dem Mann aus der Feierrunde gesprochen. Beide haben Glück gehabt, sind heute weitgehend gesundet. "Weil ihnen von Laien schnell geholfen wurde."
Das ist nicht immer so. Von 200 bis 250 Patienten mit Reanimationsbedarf pro Jahr allein im Landkreis spricht Armin Eisewicht. Der Klinik-Oberarzt ist vom Landrat berufener Ärztlicher Leiter Rettungsdienst und bringt eine weitere Zahl ins Spiel. 90 Prozent der Betroffenen würden keine Ersthelfermaßnahmen erleben. Angesichts der möglichen drastischen Folgen für die Patienten fordert der Mediziner wie sein Kollege Heidrich zur Hilfe auf. Engagierte Leute vor Ort und sofort eingeleitete Wiederbelebungsmaßnahmen wären das erste Glied in der Rettungskette. "Ein sehr bedeutsames."
Beide Ärzte erinnern an die Pflicht zur ersten Hilfe. Aber sie verschließen auch nicht die Augen vor der Angst der Menschen, in Ausnahmesituationen Fehler zu machen. "Der Ersthelfer ist abgesichert in solchen Situationen", betonen die Mediziner. Untätigkeit und damit unterlassene Hilfeleistung werde hingegen geahndet. Armin Eisewicht ist Realist genug um zu wissen, dass viele Personen das erste und einzige Mal vor der Führerscheinprüfung mit Erste-Hilfe-Kursen konfrontiert waren. "Bei manchen ist das 20, 30 Jahre her." Mangelndes Wissen paart sich mit Unsicherheit und dem Stress der Ausnahmesituation.
Dabei gilt heute anders als noch vor Jahren ein an sich einfaches Handlungsszenario: Ansprechen, Kopf nach hinten überstrecken und Atmung prüfen. Bleiben Reaktionen aus, ist sofort mit der Herzdruckmassage zu beginnen. "HHH. Hauptsache heftige Herzdruckmassage", betont Armin Eisewicht, spricht von einer 100 bis 120er Frequenz und dem fünf Zentimeter tiefen Eindrücken des Brustkorbs in der unteren Hälfte des Brustbeins. Mund-zu-Mund-Beatmung würde vom Laien heute nicht mehr verlangt. "Der Ersthelfer hat es in der Hand", fügt Jens Heidrich hinzu. Er hat die weniger gut verlaufenen Fälle der letzten Monate bei der Hand. Herzstillstand im Kreis der Kollegen und nach einem Asthmaanfall auf der Autobahn. Beide Male wurde auf den Rettungsdienst gewartet und sonst nichts unternommen. Die Zeit lief gegen die Patienten. Herz und Kreislauf arbeiten stabil. Die fehlende Sauerstoffzufuhr hat im Gehirn Beider aber sehr wahrscheinlich bleibende Schäden verursacht und sie mit großer Gewissheit auf Dauer zu hochgradig pflegebedürftigen Menschen gemacht.