Diskussion um Goitzsche-Arkaden Diskussion um Goitzsche-Arkaden: Ex-Dezernent mischt sich ein

Bitterfeld - Eckbert Flämig legt den Finger in die Wunde. „Die Absage der Goitzsche-Arkaden war vorhersehbar“, sagt der frühere Bitterfelder Baudezernent und heutige Projektentwickler. Gründe gebe es aus seiner Sicht viele. „Der Einzelhandel hat sich in den vergangenen Jahren gravierend verändert“, sagt Flämig. „Er siedelt sich hauptsächlich dort an, wo möglichst viele Menschen schnell und stressfrei hinkommen. Wir sprechen also über Standorte an den verkehrstechnisch gut erschlossenen Randlagen der Städte oder gut erschlossene Zentren der großen Städte.“
Das Areal am Plan - der sogenannte „Schweinemarkt“ - erfülle all dies nicht. „Bitterfeld mit seinem Zentrum ist eine Kleinstadt.“ Und: „Die Kaufkraft innerorts ist überschaubar und die Kaufkraft außerorts wird von zahlreichen, seit langer Zeit vorhandenen Einkaufsstandorten umworben.“ Es sei daher schlicht unwahr, dass die jüngste Bitz-Erweiterung die Goitzsche-Arkaden verhindert hätte.
Stellt sich die Frage: Ist mit dieser Einschätzung die Zukunft des Areals als wilde Parkfläche besiegelt? „Keinesfalls“, erwidert Flämig, packt ein mehrseitiges Konzept auf den Tisch und meint: „Wir müssen weg von den Leuchttürmen und hin zu praktikablen Ansätzen.“ Die Zahl der möglichen Handlungsoptionen sei begrenzt, wenn man die Größe der Stadt, die Kaufkraft, die Verkehrssituation und die Entwicklungsrichtungen des Einzelhandels nüchtern analysiere.
Nachdem bekannt wurde, dass der Investor den Plan für die Goitzsche-Arkaden aufgibt, haben uns auch Leserbriefe erreicht, die sich intensiv mit dem Thema auseinandersetzen. Traum geplatzt, na das passt doch. Offensichtlich ist das Träumen hier weiter verbreitet als das Sehen. Da träumt man von einem Erretter aus Berlin, Düsseldorf oder sonst wo her, der einem den Bitterfelder Traum verwirklicht.
Dabei könnte man sehen, dass es die Goitzsche-Arkaden längst gibt. Ein Einkaufszentrum, größer als das Rathauscenter in Dessau - mit Bäcker, Fleischer, Fielmann, McGeiz, McPaper, Eisdiele, Café und Restaurant. Fast alles wie in Dessau. Gut, es gibt hier kein Karstadt, aber den gibt es im Rathauscenter ja auch nicht mehr lange. Die zwei Unterschiede sind der Name und dass bei unserem großen Einkaufszentrum in Bitterfeld das Dach über dem Mittelgang fehlt. Wir nennen es Fußgängerzone. Dieses Einkaufszentrum zeigt schon einige Alterserscheinungen und da sollte man investieren. Das fängt mit der Ruine auf der einen Seite an und geht weiter mit den Stellplätzen auf dem Schweinemarkt. Da wäre das Geld der Stadt gut angelegt, statt in neue Zufahrtsstraßen, ganz neue Stellplätze und die Umlegung des ZUP zu investieren. Nehmt das Geld und steckt es in die Auffrischung des bestehenden Einkaufszentrums in Bitterfeld. Die Entfernung zur Goitzsche ist praktisch die gleiche.
Nun ist der bunte Luftballon „Goitzsche-Arkaden“ geplatzt. Vielleicht beginnt Realität bei den Stadtvätern und –müttern einzukehren - am besten, indem auch das Innenstadtkonzept aufgehoben wird. Es ist eine planwirtschaftliche Anmaßung, durch eine Verknappung von „innenstadtrelevanten Gütern“ in bestehenden Einkaufszentren wie Real oder Bitz den Bürgern vorzuschreiben, wo sie zu kaufen haben. Es wird nicht funktionieren. Weshalb geht man an einem Standort einkaufen? Es muss eine vernünftige, umfassende und erschwingliche Auswahl geben. Es muss ausreichend kostenlose Parkplätze geben. Man muss das Gekaufte ohne Mühe vom Geschäft zum Auto transportieren können.
Es gab vor nicht allzu langer Zeit an der Burgstraße und der Walther-Rathenau-Straße ein Fachgeschäft für Glas, Porzellan und gehobene Delikatessen, eine Parfümerie, ein Bilderrahmengeschäft mit Café, ein Schuhgeschäft, mehrere Modegeschäfte, einen Lampenladen. An der Burgstraße lag mit Kaisers Kaffeegeschäft ein Lebensmittelladen. Sogar ein Geschäft für Gartenmöbel und Heimtextilien gab es mit dem „Blauen Ochsen“. Alles innenstadtrelevante Güter. Warum gibt es diese Geschäfte nicht mehr? Nicht wegen Real und Bitz.
Es ist nicht so wichtig, wo man etwas in Bitterfeld-Wolfen kaufen kann, sondern dass man es überhaupt kaufen kann. Wenn man den Zentren Bitz, Real, Kaufland keine Perspektive gibt, wird es nur noch das Internet, Aldi, Lidl, ein paar Gemüseläden und Änderungsschneidereien geben. Die Stadt kann froh sein, keine Investitionsruine zu erhalten, die ein Jahr nach der Eröffnung leer steht. Auf dem Platz sollte es gepflasterte Parkplätze geben oder eine Grünanlage, irgendwas wie „Unsere Stadt soll schöner werden“. Wer innenstadtrelevante Güter verkaufen will, kann leer stehende Läden anmieten. Dazu bedarf es keiner Goitzsche-Arkaden.
Daher - und nun lässt Flämig die Katze aus dem Sack - müsse man zwischen der Innenstadt und der Goitzsche eine „attraktive Mischung aus kleinteiligen Baugebieten mit zwei- bis viergeschossigen Häusern zum Wohnen und für den Handel samt vernünftig gestalteten öffentlichen Freiräumen entwickeln“. Wichtig sei, dass sowohl der See für die Menschen in der Stadt als auch die Innenstadt für die Besucher am See erlebbar gemacht werden. Kurzum: Die Verbindung zwischen Zentrum und Wasser müsse sichtbar gestaltet und baulich so aufgewertet werden, dass sich die „Wohn-, Lebens- und Aufenthaltsqualität“ merklich erhöhen.
Allerdings müsste die Stadt für dieses Vorhaben in Vorkasse gehen und die infrastrukturellen und planerischen Voraussetzungen schaffen. „Mit einem schlüssigen Gesamtkonzept gewinnt man auch Investoren. Möglichst mehrere.“ Attraktive Wohnraumangebote in der Nähe des Sees wären dann auch für Menschen mit mittleren und höheren Einkommen interessant. Mit Zuzügen zwischen 500 und 1 000 Menschen rechnet Flämig. „Und die ziehen Handels- und Dienstleistungsunternehmer nach sich.“ Man müsse weg von dem Glauben, dass das kleine Bitterfelder Zentrum in Konkurrenz mit den umliegenden Einkaufszentren treten könne und endlich die eigentlichen Stärken der Stadt - also das Wohnen - und die Lage am See in den Vordergrund stellen.
Aus Flämigs Sicht sei das kein Hexenwerk. „Man muss das nur wollen und entschlossen angehen.“ So könne man in drei bis fünf Jahren Tatsachen schaffen. „Genau so haben wir das damals auch mit der Bitterfelder Wasserfront gemacht“, sagt der Ex-Baudezernent.
Einen Bericht zu den Auswirkungen der Absage der „Goitzsche-Arkaden“ und der weiteren Verfahrensweise gibt es heute ab 18 Uhr im Bau- und Vergabeausschuss im Rathaus Bitterfeld. (mz)
