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Dieter Kudernatsch Dieter Kudernatsch: Im Zweifel für den Schüler

Von Irina Steinmann 09.07.2004, 16:36

Straach/MZ. - Am Mittwoch hat der Direktor der Sekundarschule Straach seine Schüler nach Hause geschickt und sich und die anderen Lehrer gleich mit. Seine Schule gibt es nicht mehr.

"Es war so ein Tag wie heute", so ein klarer sonniger Sommertag, der Himmel ein seidiges Blau über den Feldern, als er die Schule das erste Mal betreten hatte. 1966 war das, ein Glücksfall, dass der damalige Direktor gleich zwei Lehrerstellen frei hatte und eine Wohnung für das junge Ehepaar noch dazu. Natürlich war es eine Umstellung gewesen, von der Stadt aufs Dorf. Von der nagelneuen Wittenberger Käthe-Kollwitz-Schule ins kleine Straach, dessen Lehranstalt damals keineswegs so komfortabel angelegt war wie heute. Und doch: "Hier kann man die Seele baumeln lassen", entdeckte der Mittzwanziger den Charme des Landlebens. Und blieb. ("In Straach braucht man viele Jahre, um dazuzugehören. Ob ich dazugehöre? Da müsste man einen Straacher fragen.")

Direktor der Schule wurde Kudernatsch erst nach der Wende, 1991, und er ist stolz darauf, dass sie in diesen ganzen 13 Jahren nie einen Schüler von der Schule gewiesen haben. Und auch darauf, dass es in Straach gelungen sei, gemeinsam mit den Schülern eine "Gegenstrategie" gegen das Problem "Gewalt an Schulen" zu entwickeln. Wie? Ganz einfach, nennt er ein Beispiel: durch ganz viel anstrengenden Sport in der großen Pause. Kudernatsch mag klare Positionen: "Den Lehrern fehlt eine große Portion Psychologie", findet er. "Wenn man Schüler verletzt durch Beschimpfung, das ist etwas Schlimmes." Kollegenschelte aus dem Off? Kudernatsch winkt ab. "Ich sage meine Meinung." So wie früher, so auch heute. Rebell des Flämings hat man ihn deswegen genannt, Fläming-Rebell! Der Titel gefällt ihm, er spricht ihn gerne aus. Warum müssen Schulen heutzutage verschiedene Bücher benutzen?

Warum gab es nach der Wende keinen Aufstand gegen das, was er als Absenkung des Bildungsniveaus empfindet? Wo sind die neuen Unterrichtsmethoden, die die jungen Menschen fit machen fürs Leben? Nein, Schule ist nicht leichter geworden über all die Jahrzehnte. Wobei es Dieter Kudernatsch als Mathematiker zu DDR-Zeiten noch vergleichsweise leicht hatte das auszuhalten, was er das Dilemma zwischen den schönen Geschichten im Unterricht und der so ganz anderen Realität nennt ("Die Politik habe ich gehasst wie die Pest"). Heute gibt es andere Probleme.

Dieter Kudernatsch lässt sich Zeit mit dem Ausräumen seines Büros. Noch thront auf dem Schreibtisch der Panther. Er hatte eine wichtige Funktion. Das große schwarze Plüschtier sollte die jüngeren Schüler trösten, die zum Direx mussten, weil sie etwas ausgefressen hatten. "Man muss als Lehrer Brücken bauen", immer wieder, "denn was soll sonst werden aus den Kindern?" Ja, was?

Jetzt ist es also vorbei mit dem Brückenbauen, dem Verstehen, dem Kämpfen, dem Aufbegehren, beruflich jedenfalls. Dieter Kudernatsch, knapp 62 Jahre alt, tritt dienstrechtlich in die "Ruhephase" ein. Das Klischee vom Un-Ruhestand mag er nicht bedienen. "Ich will mich einfach mal ausruhen." Diese ganzen Schülerstreiche aufzuschreiben, dazu bleibt schließlich noch genug Zeit. Aber erzählen will er dann doch schon mal einen.

Den mit dem Jungen, der wenige Tage vor einem immens wichtigen Handballturnier mit bandagiertem Arm ins Klassenzimmer kam, obwohl er, der Trainer, ihnen doch ausdrücklich eingeschärft hatte, dass sie jeglichem Risiko aus dem Weg gehen sollten. Eine halbe Stunde lang hat er dem Schüler alles Mögliche an den Kopf geschmissen, "Pfeife!", war da noch das netteste. Der Junge hat den Verband dann ganz langsam abgewickelt - bis der ganze gesunde Arm zum Vorschein kam. "Ein Streich mit Niveau", sagt Dieter Kudernatsch zufrieden.