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Bitterfelder Fenstersturz Bitterfelder Fenstersturz: Opfer wurde aus Fenster gestoßen

Von Thomas Steinberg 20.04.2015, 17:06
Gestapelte Aktenordner liegen auf einem Schreibtisch.
Gestapelte Aktenordner liegen auf einem Schreibtisch. dpa Lizenz

Bitterfeld/Dessau - Kletterte das Opfer selbst aus dem Fenster und stürzte dann in die Tiefe? Oder half jemand nach? Beweise gibt es beim sogenannten Bitterfelder Fenstersturz nicht. Wohl aber Hinweise, dass Fabian L. (*) im Mai 2011 sein Unglück eher nicht selbst herbeigeführt hat. Das legt zumindest ein am Montag vorgestelltes Gutachten nahe. Mit einem biomechanischen Gutachten haben Experten mehr Licht ins Dunkel gebracht. Sie stellten am Tatort mögliche Varianten nach, wie die Tat hätte abgelaufen sein können. Denn für den Fenstersturz selbst gibt es keine Zeugen.

Seit fast drei Monaten wird vor dem Dessauer Landgericht gegen zwei Bitterfelder verhandelt. Beide Männer sind Anfang 20 und sollen vor vier Jahren zwei Jüngere zunächst drangsaliert, erniedrigt und geschlagen haben. Und was immer genau passierte: Am Ende lag L.’s Körper auf dem Fußweg vor dem Haus, abgestürzt aus sieben Meter Höhe.

Die Anklage geht davon aus, dass L. mit dem Angeklagten Patrick U. (*) allein im Bad war, als ihm eine brennende Substanz in die Augen gesprüht worden war. In der Badewanne stehend – dort war er hinein gezwungen worden – drehte sich L. daraufhin zum Dachfenster, U. hob dessen Beine an und L. stürzte ab.

Dass dieser Hergang die wahrscheinlichste Variante ist, legt ein biomechanisches Gutachten nahe, das vom Gericht bei Holger Muggenthaler in Auftrag gegeben worden war. Er ist ein Jenaer Spezialist auf dem Gebiet der Verletzungsmechanik. Muggenthaler startete am Tatort in Bitterfeld eine Versuchsreihe. Ein Polizist, der eine ähnlicher Statur wie das Opfer hat und ein versierter Kletterer ist, sollte gut gesichert aus dem Fenster steigen. Das gelang ihm allerdings schon wegen der Enge in den meisten Versuchen nur mühsam und mit viel Gezappel. Das hinterließ entsprechend unruhige Spuren.

Ganz anders sah das Ergebnis bei den Versuchen aus, wenn jemand von hinten herantrat und die Beine des am Fenster Stehenden packte und anhob: Dann glitt der Mann fast aus dem Fenster, rutschte über das schräge Dach, bevor er über die Traufe hinab stürzte. Die Aufprallgeschwindigkeit lag etwa 40 Kilometer pro Stunde.

Ergebnisse mit Spuren verglichen

Die Verteidigung versucht in der gestrigen Verhandlung, die Ungenauigkeiten des Gutachten herauszustreichen – die Muggenthaler gar nicht bestritt. Aber man könne bei solchen Versuchen unmöglich alle Aspekte berücksichtigten, weil man die eben nicht kenne. Dennoch blieb der Experte dabei: Das Herausklettern hatte auf der Fensterscheibe andere Spuren hinterlassen als jene, die man dort gefunden habe. Die jedoch würden auffällig mit jenen aus seinen Experimenten übereinstimmen, in denen beim Sturz nachgeholfen wurde.

Stundenlange Tortour

L. überlebte diesen Sturz in sieben Meter Tiefe trotz schwerster Schädelverletzungen. Doch ist er bis heute an den Rollstuhl gefesselt, seine Sprechfähigkeit ist eingeschränkt. Ohne fremde Hilfe käme L. nicht durch den Tag.

Das Verfahren wird am Freitag fortgesetzt. (mz)