Bitterfeld Bitterfeld: Zufällige Liebe zum Zinn
Bitterfeld/MZ. - Manchmal hat der Zufall seine Hand im Spiel. Und der war diesmal ein Quizz. Rüdiger Newe, Geschäftsführer der Bitterfelder New Tin Chemicals (BNT Chemicals), entdeckte so ein für die Existenz seines Unternehmens überaus wichtiges Datum: Vor 100 Jahren ging der Nobelpreis für Chemie an den französischen Wissenschaftler Victor Grignard. Er hatte das Verfahren entdeckt, nach dem Newes Firma im Chemiepark arbeitet und zinnorganische Substanzen herstellt.
Mondkrater nach Grignard benannt
Ein wissenschaftliches Kolloquium, das TGZ und Gesellschaft deutscher Chemiker dieser Tage veranstalteten, ist durchaus als Hommage an Victor Grignard zu verstehen, dessen Erfindung seinerzeit enorm den Fortschritt der organischen Chemie befördert hat. Und zwar so sehr, dass sogar ein Krater des Mondes nach ihm benannt wurde.
BNT Chemicals ist derzeit in Europa einer der größten Anwender der von Grignard erfundenen Synthesewege, mit denen hier letztlich zinnbasierte Spezialchemikalien hergestellt werden. Die haben enorm viele Anwendungsmöglichkeiten. "Jeder hat schon damit zu tun gehabt", sagt Geschäftsführer Newe. So werden sie genutzt für die Beschichtung von Glas der Getränkeindustrie oder von Flachglas der Solarbranche. In der Autoindustrie werden sie gebraucht als Rohstoff für Perlglanzpigmente oder auch als Ausgangsstoff für Auto- und Polyesterlack. Sie werden eingesetzt als Katalysatoren für Polyurethanschäume, Klebstoffe und Silikondichtmassen, bei der Herstellung von Tensiden und anderem mehr. Auch in der Pharmaindustrie haben sie eine Schlüsselrolle. Auf der BNT-Kundenliste finden sich stolze Namen.
"Die Firma steht gut im Markt", so Newe, "deshalb werden wir hier am Standort weiter investieren." Drei neue Anlagen entstehen. Sie sollen bereits im Frühjahr 2013 in Betrieb gehen. Besonders wichtig sei die Großanlage, in der ein spezielles Oxid hergestellt wird, das für die Produktion von Autolacken genutzt wird, erklärt Newe. "Unsere Kunden sitzen in der ganzen Welt, starke Märkte sind hier die USA, Europa, Asien mit China und Indien. Und besonders die indischen Partner drängen uns hier", sagt er. Insgesamt investiert das Unternehmen - ohne Fördermittel vom Land - nach eigenen Angaben zwischen sechs und acht Millionen Euro. Mit den neuen Anlagen gibt es zudem zehn weitere Arbeitsplätze. Derzeit sind im Unternehmen 83 Mitarbeiter beschäftigt.
Begonnen hat Rüdiger Newe mit BNT Chemicals 1998, da waren sie gerade mal 23 Mitarbeiter. Das Unternehmen ist quasi ein Kind des TGZ, meint er. Und erklärt: "Anfangs hatten wir im TGZ ein Entwicklungslabor. Wir selbst in der Firma hatten nur ein kleines Labor für Qualitätssicherung. Das TGZ war daher für uns sehr hilfreich und nutzbringend." 2005 war das neue Laborgebäude von BNT fertig und ein Jahr später hat das junge Unternehmen das TGZ endgültig als "erwachsene Firma" verlassen können. So, wie es dem Konzept eines Technologie- und Gründerzentrums entspricht.
Newe und sein Team sind ihrer Geschäftsphilosophie in all den Jahren treu geblieben - offenbar ein gutes Rezept für den Erfolg. "Wir versuchen, immer basic zu sein, also die Produktkette ganz unten zu beginnen, und damit wettbewerbsfähig zu bleiben." Die Chemie, die BNT macht, ist ein komplizierter Prozess, erklärt der Chef. "Große Firmen haben nicht viel Interesse daran. Wir stellen kleine Mengen her, müssen sehen, viele Synergien zu nutzen. Das sind Nischenprodukte. Es gibt auf der Welt vielleicht eine Handvoll Firmen, die Ähnliches machen wie wir."
"Da ist viel Potenzial"
Als der promovierte Werkstoffkundler Rüdiger Newe einen Monat vor der politischen Wende in der DDR mit der Organozinn-Anlage im CKB zu tun hatte, sagt er, "da fing meine Liebe für Zinn an. Ich habe gesehen: Da ist Potenzial und bin dabei geblieben." Die Welt hat sich weiter gedreht seit Grignard (1871-1935). Doch auch die neuen Produkte basieren letztlich nach wie vor auf seiner Entdeckung.