1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Bitterfeld-Wolfen
  6. >
  7. Bitterfeld: Bitterfeld: «Unsere Kinder brauchen andere Betreuung als andere»

Bitterfeld Bitterfeld: «Unsere Kinder brauchen andere Betreuung als andere»

Von CHRISTINE KRÜGER 07.09.2011, 16:38

BITTERFELD/MZ. - Die nächsten Ferien kommen in Sicht. Für die Eltern der meisten Schüler kein Problem - die Kids werden im Hort betreut.

Nicht aber die, die in die Förderschulen für geistig Behinderte gehen wie Hendrik Scheffler und Julian Pretzsch. Für sie ändert sich mit dem neuen Schuljahr Grundlegendes: Die lerntherapeutische Ferienbetreuung wird in Sachsen-Anhalt nur noch eingeschränkt angeboten. Das geht aus einem Erlass des Kultusministeriums hervor. Durch eine veränderte Struktur des Unterrichts wird pro Tag mehr Personal gebunden, so dass die Arbeitsstunden, die die Mitarbeiter sonst für die Ferienbetreuung genutzt haben, jetzt durch den Unterricht aufgebraucht werden.

"Wir stehen auf dem Schlauch. Wir wissen nicht: Wie soll es weitergehen", sagt Doreen Scheffler, Elternvertreterin der Schule an der Kastanie in Bitterfeld. Integrative Horte gibt es im Landkreis nicht. Außerdem, so Doreen Scheffler, würden die das Problem auch nicht lösen: Wo sollen die Kinder betreut werden, die älter als 14 Jahre sind? "Wir haben versucht, den familienunterstützenden Dienst der Diakonie einzubinden. Die sieht sich außerstande, es sind schlicht zu viele Kinder und Jugendliche."

In der Schule an der Kastanie zum Beispiel sollen nun die Herbst-, Winter- und Osterferien abgesichert sein. Und was kommt dann? Weihnachten, Pfingsten, fünf Wochen im Sommer - das macht viele Wochen, für die es noch keine Lösung gibt. Selbst wenn jeder der betroffenen Eltern seinen kompletten Urlaub nehmen würde, reichten die Tage nicht aus. Vorschläge, dass die Schüler die Horte der anderen Grundschulen mit nutzen, finden die Eltern aus verständlichen Gründen und aus Erfahrung nicht umsetzbar. "Unsere Kinder brauchen nunmal eine andere Betreuung", sagt Janet Pretzsch. Die OP-Schwester erzieht ihren Sohn Julian allein. "Was soll ich machen? Kommt es so weit, dass ich irgendwann aufhören muss zu arbeiten? Oder muss ich die Betreuung aus eigener Tasche bezahlen? Ich fühle mich aus dieser Gesellschaft ausgegrenzt", sagt sie. Und: "Es geht hier um Kinderseelen. Die Kinder haben ein Recht auf einen verlässlichen Tag."

Das sieht Peter Grimm, Jugendamtsleiter des Landkreises Anhalt-Bitterfeld, aus zwei Blickwinkeln. Als betroffener Vater sagt er: "Ich finde das selbst ärgerlich, die Kinder waren in den Schulen sehr gut aufgehoben. Warum soll es nun nicht mehr so sein, es lief 30 Jahre gut." Dennoch, so der Amtsleiter, behinderte Kinder müssten ohne jegliche Einschränkung integriert werden (Inklusion) - das sei im Großen das gesetzlich formulierte Ziel der Gesellschaft. Das heißt: Der Inklusionsgedanke beruht letztlich auf dem Prinzip, alle Schüler ungeachtet ihrer individuellen Unterschiede gemeinsam zu unterrichten und zu betreuen. So sei es auch nicht möglich, Angebote, die über die Betreuung nach dem Kinderförderungsgesetz hinausgehen, zu schaffen, erklärt Grimm. "Alle Kinder bis 14. Jahre haben Anspruch auf Hortbetreuung. Der Träger der Horte wird sich also um Fachpersonal und Ausstattung bemühen müssen", sagt Grimm. "Das wird er aber nur, wenn die Kinder zuverlässig das ganze Jahr kommen und nicht nur in den Ferien. Wenn sich die Eltern für eine Hortbetreuung entscheiden, müssen sie sich an die Kommune wenden. Und ich gehe davon aus, dass die sich bemüht. Aber eben nicht nur für die Ferienbetreuung. Auf eine solche Diskussion lasse ich mich nicht ein."

Geklärt finden die Eltern die Sache damit noch lange nicht. Auch vom Land hören sie keine Lösung. Doreen Scheffler sagt: "Übersetzt heißt das doch: Die nachschulische und die Ferienbetreuung geistig behinderter Kinder sind per Gesetz nicht geregelt. Jede Kommune kann sich so entscheiden oder so. Unsere Kinder sind also definitiv nicht betreut und haben auch keinen Rechtsanspruch darauf. Das ist der eigentliche Skandal." Gegen den Erlass des Kultusministeriums spricht sich auch der Verband Sonderpädagogik des Landes aus. Die Eltern wollen jetzt einen Elternverein gründen ([email protected]).