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Anhalt-Bitterfeld Anhalt-Bitterfeld: Brieffreundschaft überlebt Krieg und Vertreibung

Von IRIS LADEMANN 10.01.2011, 17:34

WOLFEN/MZ. - Auch nach 60 Jahren Ehe ist das Miteinander zwischen Erika und Oskar Neuber noch immer ein harmonisches. "Bei uns hat es niemals richtigen großen Krach gegeben", sagt der 87-Jährige. Nach seiner Meinung, und da pflichtet ihm seine 86-jährige Ehefrau bei, könne man alle Probleme in Ruhe lösen.

Beide verbinde neben der langjährigen Ehe noch etwas: sie haben beide von Geburt an den gleichen Familiennamen und kommen aus dem Sudetenland. Mit einem Brief, so der diamantene Bräutigam, den er vor 67 Jahren an seine spätere Ehefrau schrieb, fing alles an. Rasch bemüht er sich, das "auch" zu erklären. "Ich war im Zweiten Weltkrieg bei der Luftwaffe als Flugzeugmechaniker tätig, weil ich Flugzeugmechaniker gelernt habe. Eigentlich wollte ich fliegen", sagt der 87-jährige noch immer voller Leidenschaft. Doch er sei zwei Zentimeter zu klein gewesen. Und damals, bei der Truppe sei es so gewesen, dass alle, die keine Freundin hatten, verschiedenen Mädchen Briefe schrieben." Schnell setzt er aber hinzu, dass er keine der anderen Brieffreundschaften getroffen habe.

"Als der Brief bei uns ankam", erzählt die Jubelbraut weiter, "habe ich zu meinem Vater gesagt, dass ich wohl doch noch einen Bruder habe", gibt sie vor dem Hintergrund des gleichen Familiennamens die Worte von damals wider.

Zum Hintergrund erzählt die 86-Jährige, dass ihre beiden Brüder zu diesem Zeitpunkt schon tot gewesen sind - einer durch Krankheit und der zweite sei im Krieg gefallen. "Aber", wirft Oskar Neuber ein, "unsere Väter kannten sich." Denn beide Familien hatten Hof und ein Stück Land. "Wir sind beide in der Landwirtschaft groß geworden."

Im Wohnzimmer des diamantenen Hochzeitspaares hängt ein Foto, das ein Fachwerkhaus zeigt. "Unser Gehöft", sagt Oskar Neuber, und nimmt es von der Wand. Es stehe noch immer und habe sich seit damals kaum verändert. Erst im vergangenen Jahr sei das Ehepaar mit anderen Sudetendeutschen in der ehemaligen Heimat gewesen.

Doch beim Briefe schreiben sei es nicht geblieben, greift Erika Neuber den Faden wieder auf, obwohl sie sich nach dem ersten persönlichen Kennenlernen fast zwei Jahre nicht gesehen und kaum Briefkontakt hatten. Dass diese Briefe, vor dem Hintergrund von Krieg und Vertreibung geschrieben, trotzdem ihren Adressaten fanden, grenze fast schon an ein Wunder, sind sich die beiden einig.

"Nachdem wir aus Tschechien raus mussten, fanden meine Eltern, meine Schwester und ich ein Dach über dem Kopf in Thüringen. Auch wieder in der Landwirtschaft", setzt sie hinzu. "Und mein erster Weg führte mich, 1946 aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft entlassen, nach Thüringen." Dass beide zusammen gehörten, war ihnen inzwischen klar geworden. "Ich wollte aber nicht mehr in der Landwirtschaft arbeiten, sondern irgendwie in meinem Beruf, und fand eine Anstellung in Wolfen in der Farbenfabrik."

Die Hochzeit wurde noch in Thüringen gefeiert. Danach zog das Ehepaar nach Wolfen. Über verschiedene Qualifizierungen und ein Meisterstudium brachte es Oskar Neuber bis zum Sicherheitsinspektor. Und seine Ehefrau, anfangs in der Filmfabrik tätig, wechselte nach der Geburt ihres Sohnes in die Farbenfabrik, wo sie zuletzt in der Schalttechnik tätig war.

Seit Mitte der 80er Jahre genießen beide ihr Rentnerdasein. Und für das Hobby von Oskar Neuber, die Kakteenzucht, die er 1959 begann, war endlich mehr Zeit. Und weil ihn die unterschiedlichsten Blüten der rund 1 000 stacheligen Gesellen in seinem selbst gebauten Gewächshaus so sehr faszinierten, kam er über diese Schiene zur Fotografie. Weiterhin sind beide noch immer rege im Seniorenklub tätig und auch für die Familie, zu der inzwischen drei Enkel und drei Urenkel gehören, ist ebenfalls Zeit.