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Straßenführung in Bernburg Straßenführung in Bernburg: Ein dunkles Stadt-Kapitel

Von susanne schlaikier 07.09.2014, 17:43
Joachim Grossert (vorn rechts) führte am Freitagabend 80 Zuhörer durch Bernburg.
Joachim Grossert (vorn rechts) führte am Freitagabend 80 Zuhörer durch Bernburg. engelbert pülicher Lizenz

bernburg/MZ - Eigentlich ist Joachim Grossert dafür bekannt, dass er bei seinen Straßenführungen stets frei redet und ohne technische Unterstützung auskommt. Doch am Freitag erlebten die rund 80 Zuhörer eine Premiere: Erstmals kam ein Headset mit Mikrofon zum Einsatz. Immerhin hatte der heimatgeschichtlich stark engagierte Bernburger wieder zwei Stunden lang Interessantes aus der Stadtgeschichte zu erzählen. 75 Jahre nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs stand die Führung diesmal unter dem Titel „Bernburg unterm Hakenkreuz“.

Er könne nicht die ganze Bandbreite von zwölf Jahren Nationalsozialismus zeigen, schränkte Grossert vorab ein. Aber er wolle mit den Zuhörer zehn Stationen anlaufen, die in irgendeiner Weise mit der Geschichte in Verbindung stehen. Dabei weiß er sowohl Geschichten von Tätern als auch von Opfern zu erzählen. Etwa vom damaligen Oberbürgermeister Max Eggert, der zunächst Bürgermeister von Leopoldshall war, dann von der NSDAP zum OB bestimmt wurde und sich nach dem Krieg in Untersuchungshaft das Leben nahm. Oder von NSDAP-Kreisleiter Otto Wienecke, einem „üblen Schläger“, oder von Heinrich Ewwers, der als Halbjude unentdeckt vier Jahre lang als Vikar in der katholischen Gemeinde tätig war und später Karriere im Vatikan machte. Oder von Berthold Simonsohn - einem fast vergessenen Bernburger, der nach einem Jurastudium noch 1934 promovierte, die Konzentrationslager Theresienstadt und Auschwitz überlebte und später die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland gründete.

Erfahren Sie auf der nächsten Seite, was Joachim Grossert auf seinem Rundgang besprach.

Start des Rundgangs war der Parkplatz des Amtsgerichts. Auf dem Gelände gab es einst einen unterirdischen Gang von der nahe gelegenen NSDAP-Kreisleitung zum heutigen Kreishaus, das zu Nazi-Zeiten Rathaus war.

An der Friedensallee, der damaligen Kaiserstraße, wohnte einige Jahre auch besagter Simonsohn mit seiner Familie im Haus Nummer 27, ehe sie, weil sie als Juden nur bei Juden wohnen durften, in die Breite Straße 14 (dem Gelände der ehemaligen Synagoge) umziehen mussten. Nicht weit davon entfernt steht das Gebäude der Sparkasse, das einst von Ludwig Gumpel - dem Großvater von Altbundeskanzler Helmut Schmidt - und dessen Cousin Wilhelm Samson als Privatbank gegründet wurde. Später übernahm Gumpels Sohn Max die Bankgeschäfte. Grossert beschreibt diesen als „geistigen Überflieger“, der schon mit 17 sein Abitur machte und vier Jahre später in Freiburg/Breisgau promovierte. Nach seiner Rückkehr nach Bernburg war er „der von den Nazis meistgehasste Jude in Bernburg“, denn er war schön, klug und hatte Umgangsformen. Und so wurde Max Gumpel schon 1933 von den Nazis in „Schutzhaft“ genommen, 1935 seine Bank enteignet.

Der Rundgang führte weiter zum Karlsplatz, auf dem einst das Reiterbild von Wilhelm I. gestanden hatte, das aber ebenso wie andere Denkmale in Bernburg 1940 der „Reichsmetallspende“ zum Opfer fiel.

Am Lindenplatz, seinerzeit nach dem Nazi-Märtyrer Leo Schlagether benannt, wies Grossert zudem auf eine Gedenktafel hin, die vielen Passanten wahrscheinlich zuvor noch nie aufgefallen ist - vor allem, weil die Schrift darauf verblichen ist. Die Tafel aus dem Jahr 1993 erinnert an Bernhard und Wilhelm Gottheiner, an deren Geschäftshaus am 9. November 1938 gegen 19 Uhr die Pogrome gegen jüdische Mitbürger in Bernburg begannen.

Von dort ging es weiter in den Neubau des Campus Technicus. Auf dem Gelände des ehemaligen „Hauses der Freundschaft“, das zu NS-Zeiten die Gaststätte „Hohenzollern“ war, spielten sich einst gruselige Szenen ab: In einem Bericht beschreibt SA-Sturmführer Gerhard Boas, über das Vorgehen der eigenen Leute entsetzt, die „Vernehmungen“ von SPD-Funktionären in der Nacht zum 25. Juni 1933 durch Sturmbannführer Kautz und NSDAP-Kreisleiter Otto Wienecke. „Die Leute wurden mit Schulterriemen und dergleichen derartig geschlagen, dass sie schon blutig in das Vernehmungszimmer gelangten.[...] Die Leute erhielten [...] Faustschläge in das Gesicht und wurden anschließend über einen Tisch gezogen, um von hierzu beauftragten SA-Leuten mit Gummiknüppeln bestialisch, teilweise völlig entkleidet, bis zur Besinnungslosigkeit geschlagen zu werden [...]“, heißt es in einer Abschrift von Torsten Kupfer, die im Internet nachzulesen ist. Der zitierte Boas blieb zwar Mitglied der NSDAP, wurde aber aus der SA gedrängt. Dieses Beispiel zeige, dass auch zu jener Zeit nicht alles Schwarz oder Weiß gewesen ist, sagte Grossert.

Die letzte Station führte schließlich zum Rathaus IV, dem ehemaligen Gesundheitsamt und heutigen „Haus der Finanzen“ der Stadtverwaltung. Schon zu NS-Zeiten ist es Gesundheitsamt gewesen und so zeigen die Fenster im Treppenhaus nationalsozialistische Symbole des Gesundheitswesens. Auch das Wappen des Kreises Bernburg war dort einst zu sehen, das zwischen 1936 und 1945 ganz anders aussah als heute: Mit Schach-Muster (für die Grafschaft Ascarien, Adler auf Silbernem Grund (für Mühlingen), Maria mit Kind (Symbol für Nienburg), den Wappen für Warmsdorf und den Freistaat Anhalt.

Hier endete die kurzweilige Führung, für die Grossert wie immer nur eine Spende erbat. Diesmal möchte er das Geld gern für die Erneuerung der Gedenktafel am Lindenplatz nutzen.