Solvays Erben Solvays Erben: Noch immer einer der größten Arbeitgeber in Bernburg

Bernburg - Kein anderer Industriepionier hat solche Spuren in Bernburg hinterlassen wie Ernest Solvay (1838 - 1922). Das Patent zur chemischen Gewinnung von Soda meldete der Belgier im zarten Alter von 23 Jahren an, bis heute ist es weltweit das gängigste Verfahren geblieben.
Die Sodafabrik, die vor 133 Jahren an der Saale ihre Produktion aufnahm, prägt noch immer das Stadtbild. Noch immer ist Solvay einer der größten Arbeitgeber Bernburgs. Der Grund für zwei Betriebsfeiern am vorigen und nächsten Samstag im Kurhaus ist aber ein anderer: Genau 25 Jahre ist es her, dass Solvays Erben zurückgekehrt sind. Denn weder bei Nazis noch in der DDR waren sie wohlgelitten. Von den 400 Beschäftigten, darunter 40 Auszubildende, haben mehr als die Hälfte die erste Stunde der Reprivatisierung am 1. September 1991 miterlebt.
Zuversicht und Aufbruchsstimmung
Werkleiter Patrick Sivry spricht von einem Wendepunkt in der Unternehmensgeschichte: „Es kehrten Zuversicht und Aufbruchsstimmung ein. Doch Motor des Erfolgs waren die Mitarbeiter. 236 von ihnen sind heute noch bei uns.“ Wie Thomas Dittmann. Der 56-Jährige ist sogar schon 34 Jahre dem Betrieb treu.
Der Bernburger begann damals als Verlader, machte an der Abendschule eine Schlosser-Ausbildung, wechselte dann in den Versand. Heute ist er Eisenbahnbetriebsleiter. Immerhin 40 Prozent der Produktion werden per Schiene transportiert. „Alles zum Hafen Wismar, wo die Güter unter anderem nach Skandinavien oder Russland verschifft werden“, sagt Thomas Dittmann.
Mit dem Namen Solvay ist Bernburg bereits seit 136 Jahren verbunden. Damals, 1880, beantragte der belgische Industrielle Ernest Solvay die Konzession für eine Sodafabrik, die drei Jahre später ihren Betrieb aufnahm.
Das vom Erfinder entwickelte ammoniakbasierte Verfahren zur Herstellung von Soda (Natriumcarbonat) ist noch heute weltweit das gebräuchlichste. Ernest Solvays Wahl fiel auf Bernburg, weil hier zwei elementare Ausgangsstoffe - Salz und Kalkstein - im Überfluss vorhanden sind.
Im Jahr 1896 geht eine zweite Sodafabrik in Produktion, außerdem wird eine Bicarbonat-Fabrik errichtet. Zwei Jahre später wird ein Versuchslabor eröffnet.
1907 führt Solvay im Bernburger Werk den Achtstunden-Tag ein. Bis heute wird rund um die Uhr in drei Schichten gearbeitet.
Als 1939 der 2. Weltkrieg ausbricht, ist Bernburg der größte Soda-Produzent der Welt mit 2736 Arbeitern und 270 Angestellten sowie einer Jahresproduktion von 276.000 Tonnen.
Heute liegt die Kapazität bei der doppelten Menge, die Zahl der Beschäftigten bei rund 400 - auch ein Beleg dafür, wie effizient das Werk im Verlaufe der Jahrzehnte geworden ist.
Noch im gleichen Jahr wird das Werk unter NS-Aufsicht gestellt, bereits 1940 übernehmen die Nazis die Zwangsverwaltung, weil der belgische Konzern als Feind behandelt wird.
Und er bleibt es auch nach Kriegsende für die Sowjets. 1948 verlegt die Deutsche Solvay-Werke AG deshalb ihren Sitz von Bernburg nach Solingen.
1952 nimmt der Soda-Betrieb in Bernburg offiziell wieder die Produktion auf. Kurz vor dem Zusammenbruch der DDR sind in dem Volkseigenen Betrieb 1750 Mitarbeiter beschäftigt, die zum Teil auch für das benachbarte Staßfurter Sodawerk tätig sind.
Als Solvay am 1. September 1991 sein Eigentum zurückübertragen bekommt, sind noch zirka 1000 Beschäftigte übrig. 236 von ihnen sind bis heute - 25 Jahre später - dem Unternehmen treu geblieben.
Seit der Reprivatisierung hat Solvay 660 Millionen Euro in den Standort investiert. 1992 geht eine Schwersoda-Anlage in Betrieb, zwei Jahre später eine Wasserstoffperoxid-Anlage sowie ein Industriekraftwerk auf Basis von Kraft-Wärme-Kopplung.
Ab 1998 wird in Bernburg auch hochreines Wasserstoffperoxid für die Chipindustrie hergestellt. 2005 folgt die Inbetriebnahme einer Produktionslinie für Natriumbicarbonat.
Ein weiterer Meilenstein der jüngeren Geschichte ist 2009 der Startschuss für das gemeinsam mit der Tönsmeier-Gruppe betriebene Ersatzbrennstoff-Heizkraftwerk.
Vor drei Jahren schließlich beginnt Solvay mit der Herstellung von hochreiner Phosphorsäure, die ebenfalls in der Chip-Branche Anwendung findet.
Weltweit beschäftigt Solvay als Hersteller von Chemikalien und Hochleistungswerkstoffen aktuell etwa 30.000 Menschen in 53 Ländern, davon 2500 Mitarbeiter an elf deutschen Standorten.
Im Vorjahr erzielte der Konzern, der seinen Hauptsitz in der belgischen Hauptstadt Brüssel hat, einen Umsatz von 12,4 Milliarden Euro. In Brüssel und Paris ist Solvay börsennotiert. (tad)
Wie er ist auch Michael Thanhäuser in Nienburg aufgewachsen. Der 54-Jährige lebt noch immer in der Kleinstadt, fährt täglich zur Arbeit nach Bernburg - und das bereits seit 1978. Er lernte im Sodawerk von der Pike auf Schlosser, machte den Meister für Hebe- und Aufzugsanlagen, leitet heute die Zentralwerkstatt. „Die Arbeitsaufgaben sind anspruchsvoller geworden, erfordern ständige Weiterbildung, um die neue Technik beherrschen und reparieren zu können“, beschreibt er den Wandel über die Jahrzehnte in seinem Beruf.
150 Millionen Euro Jahresumsatz
Zu den sichtbarsten Veränderungen zählt der Umweltschutz. Einer, der sich damit auskennt, ist Jürgen Killmann. Der 62-Jährige aus Aschersleben kam vor 37 Jahren nach dem Studium als Chemiker in die Fabrik und zeichnet inzwischen hier für den Umweltschutz und die Arbeitssicherheit verantwortlich. Es sei keineswegs so, dass man sich zu DDR-Zeiten nicht um die Umwelt geschert habe.
„Damals gab es auch Grenzwerte. Nur mangelte es einfach an der Technik.“ Im Vergleich zu heute lasse sich sagen, dass die Stickstoffbelastung der Abwässer wesentlich geringer geworden, die Filtertechnik klar besser ist. „Generell sind in der Chemiebranche sind Umweltschutz und Arbeitssicherheit heutzutage hoch angebunden.“
Die einzige größere Havarie in all der Zeit sei der Kalkteichrutsch bei Latdorf vor neun Jahren gewesen. „Wir arbeiten bis heute mit den Behörden daran, eine Wiederholung auszuschließen“, betont Jürgen Killmann. Mit Prognosen für die Zukunft des Solvay-Standortes Bernburg, der einen Jahresumsatz von knapp 150 Millionen Euro erwirtschaftet, hält sich Werkleiter Patrick Sivry zurück.
„Die Welt ist permanent im Wandel. Wir arbeiten stetig an unserer Wettbewerbsfähigkeit“, sagt er. In den vergangenen 25 Jahren investierte Solvay in Bernburg deshalb auch in weitere Standbeine neben dem Kerngeschäft Soda. Mit dieser Risiko-Streuung lassen sich mögliche Marktverwerfungen besser abfedern. (mz)


