Schmähgedicht über Erdogan Schmähgedicht über Erdogan: Was ein Karikaturist und ein Jura-Professor dazu sagen

Bernburg - Ihre Nachnamen enden auf dem gleichen Buchstaben. Ansonsten haben ZDF-Satiriker Jan Böhmermann und Türkei-Regierungschef Recep Tayyip Erdogan wenig gemeinsam. Der eine, bissiger Fernsehkomiker - der andere, fragwürdiger Demokrat. Dass Böhmermanns Schmähgedicht über Erdogan ein solches darstellt, steht nahezu außer Frage. Allerdings wirft der Fall juristische und politische Fragen auf. Die MZ hat dazu im Kabarettarchiv Bernburg nachgeschaut und Matthias Thiel, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Deutschen Kabarettarchivs, nach seiner Expertise gefragt sowie mit dem Hallenser Jura-Professor Joachim Renzikowski gesprochen und den MZ-Karikaturzeichner Steffen Kuche um eine Einschätzung gebeten.
Satire oder nicht Satire?
Herr Renzikowski, ist das Spottgedicht eine rechtliche Grenzüberschreitung oder nicht, da Böhmermann zuvor darauf verwies, so etwas sei in Deutschland verboten?
Joachim Renzikowski: Die Bewertung erfordert eine komplizierte Abwägung zwischen Kunstfreiheit und Ehrschutz. Wenn Herr Böhmermann nicht mit dem türkischen Präsidenten „den Richtigen“, sondern mit antisemitischen Äußerungen „die Falschen“ getroffen hätte, wäre der Aufschrei wohl ein ganz anderer. Einige Sätze sind dezidiert herabwürdigend, und es ist sehr fraglich, ob die satirische Einkleidung diese Äußerungen noch retten kann.
Mit einer entsprechenden Einkleidung („Achtung, das darf man in Deutschland nicht sagen“) würde etwa die Auschwitz-Lüge plötzlich straflos. Letztlich wird der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte darüber befinden, wenn die Beteiligten den Rechtsweg ausreizen.
Angela Merkel hat zugestimmt, das Strafverfahren gegen Böhmermann nach § 103 des Strafgesetzbuchs zu erlauben. Das bedeutet, wer einen ausländischen Staatschef beleidigt, kann in Deutschland von diesem angeklagt werden. Bei einem Strafersuchen muss die deutsche Regierung jedoch zunächst zustimmen. Zusätzlich zu diesem Paragrafen hat Erdogan einen „normalen“ Strafantrag nach § 185 gestellt, dafür braucht es keine Erlaubnis der Kanzlerin.
Was den Paragrafen 103 angeht, so kündigte Angela Merkel an, ihn in dieser Legislaturperiode abzuschaffen. Wie steht das im Verhältnis?
Joachim Renzikowski: Die Abschaffung würde sich nur dann auf das laufende Strafverfahren auswirken, wenn die Norm gestrichen wird, bevor ein rechtskräftiges Urteil ergeht. Denn das Gericht muss immer die mildeste Vorschrift anwenden (Günstigkeitsprinzip) und das wären dann die § 185 und Folgende, also die „normalen“ Ehrschutzdelikte mit milderen Strafen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass dieses Gesetzesvorhaben noch in dieser Legislaturperiode durchgezogen wird.
Schah klagt gegen Paragraf 103
Herr Thiel, es ist nicht das erste Mal, dass Satire und Gesetz in Konflikt geraten. Wurde schon einmal vom Paragraf 103 StGB Gebrauch gemacht?
Matthias Thiel: Vergleichbar nein, bei der Aufregung. Der Schah von Persien hat aber unter Berufung auf diesen Paragrafen in den 60er Jahren öfter geklagt.
Warum dem Karikaturisten Steffen Kuche dazu Kim Jong-un aus Nordkorea einfällt, lesen Sie auf der nächsten Seite.
Herr Kuche, Sie zeichnen Karikaturen - das heißt, Sie stellen Menschen oder gesellschaftliche Situationen zumindest bildlich auch überspitzt dar. Wie sehen Sie den Fall Böhmermann?
Steffen Kuche: Hätt’ der Böhmermann gegen Kim Jong-un aus Nordkorea gelästert, augenblicklich hätte es kein Aas interessiert. Der Erdogan jedoch, der ist grad’ nützlich, ist wichtig in der Flüchtlingsgeschichte. Da vergessen wir im Spreebogen großzügig, dass der oberste Europaorientale keineswegs ein Opfer, sondern ein mächtiger Macher ist. Mit ganz hässlichen Manieren gegenüber den eigenen Stammesbrüdern. (mz)