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Gesundheitsstudio  Gesundheitsstudio in Bernburg: "Hexe" mit sanften Händen

Von Andreas Braun 17.11.2017, 10:55
Carsta Weikert betreibt seit 36 Jahren ihr Gesundheitsstudio am Clara-Zetkin-Platz in Bernburg
Carsta Weikert betreibt seit 36 Jahren ihr Gesundheitsstudio am Clara-Zetkin-Platz in Bernburg Engebert Pülicher

Bernburg - „Bitte, lassen Sie mich den Bedarf selbst ermitteln.“ Dieser einfache Satz mag nicht sehr rebellisch klingen. Doch als ihn Carsta Weikert 1981 beim Rat des Kreises Bernburg sagte, war das nicht ohne.

Die damals 33-jährige Bernburgerin, gelernte Krankenschwester, die auch als OP-Schwester im Krankenhaus gearbeitet hatte, wollte sich selbstständig machen. Und das auch ordnungsgemäß anmelden.

Fußpflege wollte sie anbieten.

Selbstständigkeit war allerdings nicht Teil der sozialistischen Ideologie.

Und so bekam Carsta Weikert kurz und bündig zu hören: „Dafür besteht kein Bedarf“ - was sie nicht entmutigte, sondern ihr die anfangs genannte Bemerkung entlockte.

Traditionsgeschäfte in Bernburg: Binnen zwei Wochen anfangen

Den Bedarf musste Carsta Weikert nicht ermitteln. Dafür bekam sie ein paar Tage später ein Schreiben. Darin war vermerkt, dass Carsta Weikert ihre Arbeit innerhalb von zwei Wochen als selbstständige Fußpflegerin aufnehmen muss.

Gleich verbunden mit der Auflage, regelmäßig in den Altenheimen bei den Senioren vorbeizuschauen.

Dazu brauche sie aber ein Auto, meinte sie, als sie sich vom Schock, dass sie so bald anfangen sollte, erholt hatte - und sie bekam eins. Allerdings fehlte anderes Arbeitsgerät.

„Es haben viele Leute geholfen. Vielleicht hat man gedacht, dass ich das nicht schaffe. So etwas spornt mich doch aber eher an“, blickt sie heute zurück.

Traditionsgeschäfte in Bernburg: Lernen, auch mal auf die Zunge zu beißen

Aufgeben ist für sie keine Option, auch Zurückstecken fällt ihr gelegentlich schwer, was sie aber auch weiß.

„Ich musste lernen, mir ab und zu mal auf die Zunge zu beißen. Mein Mann hat mir dabei geholfen. Er war ruhiger und bedacht“, sagt die Bernburgerin über ihren Mann Günther, mit dem sie lange verheiratet war und der 2009 starb.

Was bleibt, sind Erinnerungen und eine große Lücke. Doch auch hier gilt für die Geschäftsfrau, die über die Jahre das Geschäft ausbaute und auch immer neue Zweige erschloss, nach vorn zu schauen.

Traditionsgeschäfte in Bernburg: Individuelle Öffnungszeiten und als Masseurin gearbeitet

Ein Ende ihrer Arbeit ist nicht Sicht. Allerdings hat sie ihr Gesundheitsstudio nicht mehr täglich geöffnet.

„Ich mache zwei Wochen auf, zwei Wochen zu. Das erlaubt mir, meine Stammkunden weiterzubetreuen, und ich habe auch Zeit für mich.“

Die nutzt Carsta Weikert gern, indem sie mit ihrem Wohnmobil Auflüge macht. Darauf will sie nicht verzichten.

Früher ist sie zusammen mit Ehemann Günther zu den Auswärtsspielen von Anhalt Bernburg gefahren. Für die 1. Männermannschaft arbeitet sie als Masseurin.

Daher kennt sie alle früheren Spieler, auch noch die, die einst beim Vorgängerverein Motor Bernburg spielten und dann beim SV Anhalt.

Ebenso die Trainer und die Verantwortlichen. Selbst heute geht sie noch zu Heimspielen. „Ich gehe dort hin, doch so viel Emotion wie früher steckt nicht mehr drin“, sagt sie.

Allerdings hat sich Carsta Weikert gefreut, als Christian Prokop Bundestrainer der Handballnationalmannschaft geworden ist.

„Das ist ein guter Mann, und er wird das auch gut machen. Er war ein sehr angenehmer Mensch, als er 1997 in Bernburg gespielt hat“, erinnert sie sich.

Traditionsgeschäfte in Bernburg: Nach und nach erweitert

Die Frau hat in den 36 Jahren das Geschäft am Clara-Zetkin-Platz nach und nach erweitert. Fußpflege ist immer noch ein Schwerpunkt. E

in Whirlpool, ihre erste Anschaffung mit der D-Mark, ein Solarium, eine Sauna - alles für das Wohlfühlen der Gäste -, kamen hinzu. Und natürlich die Massagen und die kosmetischen Behandlungen.

Auch Fußreflexmassagen bieten Carsta Weikert an. Das sei nicht einfach nur Füßemassieren, sagt sie. Es sei eine physiologische Ganzheitsbehandlung, die sehr alt ist.

William Fitzgerald, amerikanischer Arzt, beobachtete zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Fußreflexzonenmassage bei den Indianern, entwickelte sie weiter und systematisierte sie. Auch die alten Ägypter kannten diese heilende Wirkung schon.

Traditionsgeschäfte in Bernburg: Patient zur Hexe geschickt

Es gibt dazu über Carsta Weikert sogar eine Geschichte, die nahezu schon legendär genannt werden kann. Ein bekannter Bernburger Arzt, der heute nicht mehr praktiziert, hatte eine Patientin, die über starke Kopfschmerzen klagte. Nichts half.

Da kam ihm eine Idee. Er schickte sie zur „Hexe“.

„Die Hexe war ich“, lacht Carsta Weikert laut auf, wenn sie die Geschichte erzählt. Sie bekam mit der Fußreflexmassage und sanften Händen die Kopfschmerzen in den Griff.

Was seit Jahrhunderten funktioniert, sagt die Frau, die auch wegen der vielen guten Gespräche, die sie mit ihren Kunden führt, die Arbeit liebt, kann nicht verkehrt gewesen sein. Und so zeigt sie sich auch heute noch aufgeschlossen und neugierig.

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Läden eröffnen, wechseln den Besitzer oder ihren Standort, sie schließen wieder. Und doch gibt es sie noch - die Traditionsgeschäfte in der Region, die teilweise sogar verschiedenste Gesellschaftsformen mit- und überlebt haben. In Bernburg mehr als in den umliegenden Kleinstädten und Dörfern, die aufgrund der niedrigen Kaufkraft noch viel mehr mit der wachsenden Konkurrenz aus dem Internet zu kämpfen haben. Aber eben nicht jede Dienstleistung und jedes Produkt lässt sich heutzutage mit einem Mausklick online nach Hause bestellen. Was wäre das für ein Leben ohne Bäcker, Fleischer, Friseure, Modeboutique, Optiker oder Tabakhändler vor Ort?

Die MZ stellt in der Serie „Unsere Schaufenster“ einmal wöchentlich Geschäfte im Altkreis Bernburg vor, die mindestens ein Jubiläum gefeiert haben, die es also schon 25 Jahre und länger gibt.

Sind Sie selbst Inhaber eines Traditionsladens oder kennen Sie einen, den die MZ in ihrer Serie bisher noch nicht vorgestellt hat? Dann rufen Sie uns doch einfach an unter Telefon 03471/6 52 02 10 oder schreiben eine E-Mail an [email protected] (mz)