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Drogenabhängig und schwanger Drogenabhängig und schwanger: So kämpft eine Mutter um ihre crystal-süchtige Tochter

Von Torsten Adam 17.04.2018, 09:55

Bernburg - Als sie die Tür zum Ratssaal hinter sich schließt, kämpft Sabine Müller* mit ihren Emotionen. Mit tränenerstickter Stimme sagt sie: „Die haben keinerlei Ahnung, worüber sie reden, diskutieren nur über Geld.“

Mit „die“ meint die 38-Jährige einige Mitglieder des Jugend- und Sozialausschusses. Das Fachgremium sollte dem am Donnerstag, 19. April, entscheidenden Stadtrat empfehlen, ob das vor gut zwei Jahren mangels Weiterfinanzierung durch den Salzlandkreis beendete Drogenpräventionsprojekt „Ufer“ in Bernburg reaktiviert wird.

Zu einer Empfehlung konnte sich der Ausschuss aber nicht durchringen. Sabine Müller versteht nicht, dass Stadträte an der Notwendigkeit einer Anlaufstelle für Drogensüchtige in Bernburg zweifeln.

20-Jährige war von Crystal Meth abhängig

Sie selbst ist gerade dabei, ihrer Tochter Franziska* den Weg zurück aus der Hölle ins Leben zu ebnen. Die 20-Jährige war mindestens anderthalb Jahre lang von Crystal Meth abhängig. Die synthetische Droge ist billig, ihre Wirkung auf die Konsumenten umso verheerender.

Sabine Müller fällt aus allen Wolken, als sie erfährt, dass ihre Tochter Drogen nimmt. Nach dem Schulabschluss am Campus Technicus ist diese auf gutem Weg, ihre Ausbildung erfolgreich zu absolvieren. Zwei von drei Jahren der Lehre sind herum, als die Mutter Veränderungen im Verhalten des Mädchens bemerkt.

„Mein Partner tippte auf Drogen. Ich sagte zu ihm: ,Aber mein Kind doch nicht!‘“ Dennoch sind Zweifel gesät. Die Mutter beginnt im Internet nach der Symptomatik bei Crystal-Konsumenten zu googeln.

Mutter wird sich der schrecklichen Wahrheit bewusst

Stück für Stück wird ihr die schreckliche Wahrheit bewusst. Das Geheimnis fliegt endgültig auf, als Franziska zur Firmenzentrale einbestellt wird. „Sie rief mich an, weil sie die Adresse nicht fand. Sie wirkte völlig wirr“, erzählt Sabine Müller. „Als ich später zurückrufen wollte, um das Ergebnis des Gesprächs zu erfahren, erreichte ich sie tagelang nicht.“

Der jungen Frau wird der Lehrvertrag gekündigt, denn der Drogenkonsum ist auch ihrem Ausbildungsbetrieb nicht verborgen geblieben. Als Franziska wieder ans Telefon geht, kündigt sie an, zu ihrem Freund zu ziehen. „Seit sie ihn kennt, ging es mit ihr bergab“, schätzt Sabine Müller ein.

Der jungen Frau wird der Lehrvertrag gekündigt

Franziska sei zum Umzug irgendwann mit ihrer Clique angerückt, von der, so glaubt die Mutter, alle am Crystal hängen. „Sie wuselte hin und her durch ihr Zimmer, war nicht in der Lage, ihre Tasche zu packen“, berichtet die 38-Jährige.

Wenn Franziska später mal anrief, habe sie wirres Zeug geredet und einfach aufgelegt. „Ich war jedes Mal froh, dass sie sich meldet und noch am Leben ist.“

Sabine Müller selbst weiß kaum, wohin mit ihrer seelischen Not. Eine Anlaufstelle, wo auch Eltern Hilfe erhalten, wie sie jetzt vom Rückenwind-Verein geplant ist, suchte sie in Bernburg vergebens. Bei der Drogenberatungsstelle des Diakonischen Werkes Bethanien habe sie zwar 14 Tage später einen Termin erhalten.

Mutter versucht, den Kontakt zu ihrer Tochter zu halten

Aber: „Dort erhielt ich den Rat, mir nicht den Kopf zu zerbrechen und meine Tochter fallenzulassen. Doch das konnte und wollte ich nicht.“ Sie versucht stattdessen, den Kontakt zu Franziska zu halten.

Hilfe für sich findet die 38-Jährige bei Gabriele Jungbluth-Strube. Die Suchtmedizinerin verschreibt ihr Ergotherapie. „Mit jemandem reden zu können hat mir sehr geholfen.“

Ihre Recherchen über Crystal im Internet helfen, sich das Auftreten ihrer Tochter zu erklären. „Ich wusste dadurch, weshalb für sie die Familie plötzlich ein Hassobjekt ist. Begreifen konnte ich es nicht.“

Der Drogenkonsum geht an der jungen, hübschen Frau nicht spurlos vorbei: die typischen Kratzspuren im Gesicht, 15 Kilogramm Gewichtsverlust. „Wer Crystal nimmt, ist tagelang wach und isst nichts“, sagt die Mutter.

Das Kurzzeitgedächtnis versagt, Süchtige haben keinerlei Zeitgefühl mehr. „Deshalb nützen Drogenberatungen mit Terminvergaben auch nichts. Wenn die Süchtigen drauf sind, erinnern die sich an nichts“, sagt Sabine Müller. Sie bräuchten stattdessen eine Anlaufstelle, wo sie sofort Hilfe finden. „Deshalb finde ich das Konzept von Rückenwind so toll.“

Aufnahme in die Bernburger Salus-Klinik

Vor einem Jahr lernt Franziska einen anderen Mann kennen. Er ist ebenfalls drogenabhängig. Dennoch schöpft Sabine Müller neue Hoffnung. „Sie konsumierten Crystal nicht mehr so exzessiv. Meine Tochter schaffte es wieder, vereinbarte Termine einzuhalten.“ Und sie wird schwanger.

Ein Wendepunkt. Die werdenden Eltern beantragen zusammen eine Entgiftung. Im Januar werden sie in der Bernburger Salus-Klinik aufgenommen. „Er war nach drei Tagen wieder weg“, sagt Sabine Müller.

Der Vater ihres baldigen Enkelkindes beteure heute zwar, dass er suchtfrei sei. Aber die 38-Jährige glaubt ihm nicht. „Ich habe ja mitverfolgt, wie schwer es ist, von diesem Zeug loszukommen.“ Ihre Tochter habe sich vom Kindsvater mittlerweile getrennt. „Bei ihr ist die Erkenntnis gereift, dass sie sich nicht um ein Baby und dann noch um einen suchtkranken Partner kümmern kann.“

Weiter enormer Suchtdruck

Vier Wochen lang wird Franziska entgiftet und anschließend rund um die Uhr beschäftigt, weil der Suchtdruck nach wie vor enorm sei. Rund zwei Jahre brauche der Körper zur Regeneration. Darum werde es dauern, bis sich ihre Tochter an solchen einfachen Dingen wie Sonnenschein wieder erfreuen kann.

Über viele Monate hatte Crystal ihr ganzes Glück bedeutet. Sabine Müller hat auf der Station, die voll mit jungen Suchtkranken sei, viele Gespräche mit Franziska geführt. Und dabei erfahren, dass die Tochter schon als 13-Jährige mit Cannabis-Rauchen angefangen hat. „Rückblickend erklärt das ihre Aggressivität in der Pubertät.“

Junge Frau will bald in eigene Wohnung ziehen

Voraussichtlich in drei Wochen wird Franziska aus der Salus-Obhut entlassen. Sie soll eine kleine Wohnung beziehen, ganz in der Nähe der Mutter, die begleitende Unterstützung durch das Jugendamt und weitere Fachleute organisiert hat. Einen Rückfall, der bei Crystal-Patienten eher normal als selten ist, hatte die 20-Jährige noch nicht.

„Ich bin wahnsinnig stolz darauf, dass sie diesen Weg so weit geschafft hat“, sagt Sabine Müller. Doch bei der Mutter schwingt auch die Angst mit, was passiert, wenn Franziska nicht mehr permanent beschäftigt ist. „Ich hoffe, dass sie einen Platz in der Tagesklinik bekommt.“

Sabine Müller glaubt nach ihren bisherigen Erfahrungen, dass die Abhängigen den Entzug selbst ganz fest wollen müssen. So wie ihre Tochter, der das Baby wichtig sei. Im Juli erwartet Franziska ihr Kind.   *Namen geändert (mz)