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Soziales  Soziales : Rettendes Ufer bricht weg

Von Susanne Schlaikier 03.01.2017, 11:45
Sven Juska (links) war einst Sozialarbeiter beim Verein Rückenwind in Bernburg. Er half Menschen, wie Nadine, die Probleme haben.
Sven Juska (links) war einst Sozialarbeiter beim Verein Rückenwind in Bernburg. Er half Menschen, wie Nadine, die Probleme haben. Archiv/Engelbert Pülicher

Bernburg - Frank (Name von der Redaktion geändert ) ist noch ein Teenager, als er seinen ersten Joint raucht. Wenig später nimmt er Kokain, dann Heroin. Bald wird das Geld für die Drogen knapp. Frank gerät auf die schiefe Bahn: Um seine Drogensucht zu finanzieren, wird er kriminell. Mit Anfang 30 jedoch gelingt ihm die Wende: Er kommt von der Nadel los, findet sogar einen Job.

Den Weg aus der Drogensucht hat er auch durch regelmäßige Besuche in der Anlaufstelle „Ufer“ des Vereins Rückenwind an der Nienburger Straße in Bernburg gefunden. Hier hatte er jemanden, der ihm zuhörte und der ihm geholfen hat, sein Leben wieder in den Griff zu bekommen.

Keine Finanzierung mehr vom Landkreis

Seit einem Jahr gibt es diese Anlaufstelle für Drogenabhängige nicht mehr. „Wir haben im September 2015 überraschend erfahren, dass es keine Finanzierung mehr durch den Landkreis gibt“, sagt Rückenwind-Geschäftsführer Hans Strecker. 40.000 Euro hat das Projekt jährlich gekostet. Die Stadt Bernburg hat es pro Jahr mit 12.000 Euro unterstützt.

Durch die Streichung der Mittel des Salzlandkreises hätte Rückenwind selbst 16.000 Euro zuschießen müssen. Zu viel für den Verein. Daher musste man das Projekt Ende 2015 auslaufen lassen.

Keine klassische Beratung

Die für die Anlaufstelle eingesetzte Mitarbeiterin musste bereits im September gehen. Hans Strecker und Sozialarbeiter Stefan Schott, der durch seine Arbeit in Schulen Jugendliche mit Drogenproblemen kennt, bedauern diese Entwicklung, denn das Angebot, das Drogenabhängigen seit 2001 zur Verfügung stand, wurde bis zuletzt gut angenommen.

Rund 50 Besucher seien im Durchschnitt monatlich gekommen, davon zwei Drittel männlich, sagt Schott. Zu Hochzeiten Mitte der 2000er Jahre seien es sogar 70 aus Bernburg und 70 weitere aus der Umgebung gewesen.

Hilfestellung für den Alltag und Gespräche

Dabei ging es weniger um klassische Drogenberatung, sondern vielmehr darum, den Konsumenten Hilfestellungen zu geben, wieder Struktur in ihren Alltag zu bringen. So gab es eine kleine Küche, in der die Betroffenen einfache Gerichte kochen konnten. Oder aber zusammen frühstücken.

Sie konnten hier duschen und ihre Wäsche waschen. Sie bekamen Unterstützung beim Schreiben von Anträgen oder Bewerbungen, wurden bei Geldproblemen an eine Schuldenberatungsstelle vermittelt oder zum Gericht begleitet. Und natürlich gab es hier jemandem zum Reden.

„Sie hatten bei uns jemanden, der für sie da war, wenn ihnen danach war. Jemanden, dem sie vertrauen konnten“, erklärt Hans Strecker. Auch wurden die Besucher mit neuen, sterilen Spritzen versorgt, um die Infektion mit Hepatitis zu verhindern.

Nur noch Geld für einen Mitarbeiter

Angefangen hatte alles bereits in den 1990er Jahren: Damals zählte es zu den Aufgaben der Streetworker, die Betroffenen aufzusuchen, die seinerzeit noch vorwiegend natürliche Drogen konsumierten, erzählt Hans Strecker.

Anfang der 2000er Jahre seien es dann vermehrt chemische Drogen gewesen, die von den Betroffenen konsumiert wurden. Noch bis 2012 war es den damals zwei Mitarbeitern - ein Mann und eine Frau - möglich, die Drogenabhängigen an ihren Treffpunkten aufzusuchen: am Bahnhof, in alten Fabrikanlagen, auf Spielplätzen oder auch auf dem Karlsplatz.

Dann wurden erstmals Mittel gestrichen, das Geld reichte nur noch für einen Mitarbeiter. Und der konnte nur noch „Innendienst“ an der Nienburger Straße machen.

Zuletzt habe man sogar noch einmal das Konzept überarbeitet, sich auf die Arbeit mit Crystal-Meth-Konsumenten - deren Anzahl auch im Salzlandkreis nach Aussagen von Strecker und Schott in den vergangenen Jahren stetig gestiegen ist - eingestellt. Doch das alles nützte nichts: Das Geld wurde vom Salzlandkreis gestrichen.

Die Stadt schoss jährlich 12.000 Euro zu

Bis zuletzt hatte auch die Stadt Bernburg jährlich das Projekt mit 12.000 Euro unterstützt. Daher hatte Pfarrer Johannes Lewek (Bündnis 90/Die Grünen) vor einigen Wochen den Wegfall der Anlaufstelle auch im Stadtrat thematisiert. Er wendete sich vor allem an die Mitglieder des Sozialausschusses, mit der Bitte, sich Gedanken über Lösungen zu machen.

Sozialdezernent Paul Koller verwies darauf, dass Drogenprävention eigentlich Aufgabe des Landes beziehungsweise des Landkreises sei. „Die Stadt Bernburg macht schon viel.“ Als Beispiel nannte er die Betreuung Drogenabhängiger im Obdachlosenheim. Gerd Klinz (FDP) sieht die Stadt dennoch in der Pflicht: „Dann muss die Stadt eben mal Druck auf den Salzlandkreis ausüben.“ Und dieser wiederum müsse Geld für die Arbeit mit Drogenabhängigen in die Hand nehmen.

Weniger Geld vom Land

Die Kreisverwaltung habe keine andere Wahl gehabt, als die Mittel zu streichen, teilt die zuständige Dezernentin Petra Czuratis, auf MZ-Anfrage mit. Schon im Jahr 2014 habe es vom Land weniger Fördermittel für die Kinder- und Jugendarbeit sowie Jugendsozialarbeit gegeben. Grund dafür sei eine Gesetzesänderung.

„Demzufolge werden Zuwendungen des Landes Sachsen-Anhalt auf der Basis der Anzahl der Kinder, Jugendlichen und jungen Volljährigen von 10 bis 27 Jahren, Stichtag 31. Dezember des vorvergangenen Jahres, vergeben. Eine Gegenfinanzierung des Landkreises ist in Höhe von 30 von Hundert vorzunehmen.“

Gelder waren für Verpflichtungen gebunden

Die Dezernentin rechnet vor: Im Jahr 2016 standen für Bernburg, Könnern, Nienburg und die Verbandsgemeinde Saale-Wipper Mittel in Höhe von knapp 211.000 Euro auf der Grundlage der Zahl der Kinder und Jugendlichen (25.281) zur Verfügung. Für die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen war eine Summe in Höhe von gut 153.000 Euro gebunden. Übrig blieben etwas mehr als 57.000 Euro für die Förderung der Jugendeinrichtungen.

Den Rückgang der finanziellen Unterstützung durch das Land habe der Salzlandkreis zwar im ersten Jahr kompensieren können, erklärt Petra Czuratis. Zuletzt indes nicht mehr. „Angesichts der zur Verfügung stehenden Mittel war leider eine weitere finanzielle Unterstützung des Vereins Rückenwind für das Projekt Anlaufstelle ,Ufer’ für Drogenabhängige nicht mehr möglich.“ (mz)