Campus Technicus in Bernburg Campus Technicus in Bernburg: Mit viel Geduld zum Ziel

Bernburg - Pünktlich um 9.35 Uhr sind die 24 Schüler in den Klassenraum Nummer 111 des Campus Technicus gestürmt. Wenn man von einer „Stürmung“ spricht, so ist das keine Übertreibung. Die Kinder sind zuvor in den Klassenraum gerannt und haben in Windeseile ihre Plätze eingenommen.
Sie sind wissbegierig, mögen die Schule und wollen vor allem eines: Die deutsche Sprache lernen. In Raum 111 wird an diesem Mittwochmorgen eine der zwei Sprachklassen des Campus Technicus unterrichtet. Der Unterricht findet nicht im Haupthaus der Schule, sondern im Gebäude an der Leipziger Straße statt.
Erst seit dem vergangenen Jahr bietet der Campus Technicus seine Sprachlernklasse an. Dafür wurde am 1. Oktober 2015 mit Inna Laue die erste Sprachlernkraft an der Schule angestellt. Inna Laue kam vor acht Jahren nach Deutschland und studierte im Master-Studiengang Deutsch als Fremd- und Zweitsprache.
Gebürtig stammt sie aus Usbekistan und ist selber den schwierigen Weg gegangen, Deutsch zu lernen - mit großem Erfolg. Nun unterrichtet sie zusammen mit Florian Diebner, der sie seit Januar unterstützt, Flüchtlingskinder im Campus Technicus. Die Kinder stammen aus Syrien, Afghanistan, Saudi-Arabien, Indien und Albanien.
Enorm großer Wille
Obwohl sie bei ihrer Flucht vieles erlebt haben und auch noch unter dem Eindruck dessen stehen, ist ihr Wille zu lernen, enorm hoch. Beinahe jeder Schüler meldet sich bei Fragen von Inna Laue, einige untermauern den Drang, ihr Wissen preiszugeben, mit Fingerschnippen und wilden Gesten. Können aus Zeitgründen nicht alle Schüler ihre Ergebnisse vorne an der Tafel den Mitschülern präsentieren, dann sind sie schnell traurig - auch vorlesen wollen alle unbedingt. „Die Kinder sind wahnsinnig motiviert - manchmal sogar ein wenig mehr, als unsere deutschen Schüler“, sagt Angret Zahradnik, Leiterin des Campus Technicus.
Mammutaufgabe für die Lehrer
Für beide Lehrkräfte ist der Unterricht eine Mammutaufgabe, der von der 35-Jährigen und dem 26-Jährigen alles abverlangt. „Wir müssen uns immer sehr speziell auf jede einzelne Unterrichtsstunde vorbereiten - mir helfen dabei auch meine Erfahrungen und Materialien, die ich aus meiner Studienzeit erhalten habe“, erklärt Inna Laue.
Dass die Vorbereitung immens wichtig ist, kann man während des Unterrichtes erkennen. Inna Laue hat zuvor die Tafeln beschrieben, Unterrichtsmaterialien sowie Anschauungsmaterial bereit gelegt. Die Tische sind zusammengeschoben, weil grundsätzlich in Gruppen gearbeitet wird.
„Die Kinder werden jeweils nach ihrem Wissensstand unterrichtet“, erklärt Inna Laue. Dabei habe man darauf geachtet, dass die Jungen und Mädchenmöglichst in den gleichen Altersklassen sind, was aber nicht immer gelingt.
Stammklassen zur Integration
„Die Schüler haben an vier Tagen in der Woche jeweils fünf Stunden Sprachunterricht, einen Tag verbringen sie in ihrer jeweiligen Stammklasse“, erklärt Schulleiterin Angret Zahradnik.
Mit der Stammklasse wolle man die Kinder nicht nur an den normalen Schulalltag gewöhnen, sondern vor allem auch integrieren. Jene, die in der 7. Klasse sind, haben nach dem Sprachunterricht auch täglich Unterricht in ihrer Stammklasse.
Sind die Schüler gerade am Campus Technicus angekommen, erhalten sie erst einen dreiwöchigen Unterricht in der Sprachlernklasse, ehe sie einer Stammklasse zugeordnet werden. Die Lehrkräfte müssen sich erst einen Überblick über die Stärken und Schwächen des jeweiligen Kindes verschaffen.
Auch primäre Analphabeten
„Wir haben auch zwei sogenannte primäre Analphabeten in der Klasse. Sie können weder in ihrer Muttersprache schreiben noch diese lesen - Deutsch sowieso nicht“, so Inna Laue. Die beiden Mädchen haben sich aber seit ihrer Zeit am Campus Technicus enorm gewandelt: Sie lernen schnell und vor allem sehr gut Deutsch.
Der Mix der verschiedenen Bildungs-Niveaus ist für die Lehrkräfte eine besondere Herausforderung, weil sie in einem Klassenraum dann zwei verschiedene Unterrichts-Einheiten durchführen - gleichzeitig. Während Inna Laue mit den Kindern, die schon etwas weiter sind, auf spielerische Art und Weise Personalpronomen übt, lässt sie die Kinder, die die deutsche Sprache noch nicht so gut beherrschen, Bilder von Barbie-Puppen, Parfums oder Keyboards ausschneiden.
„Die Kinder sitzen extra in einer Gruppe zusammen und haben ihre eigene Tafel“, so die Sprachlehrerin. Nachdem die Jungen und Mädchen die Motive ausgeschnitten haben, müssen sie diese den entsprechenden Wörtern an der Tafel zu ordnen. „Manchmal wollen die Schüler auch etwas anderes machen, als Deutsch lernen“, erzählt Lehrer Florian Diebner, „dann habe ich mit ihnen Mathe oder auch Englisch gemacht, in Wahrheit war aber auch das versteckter Deutschunterricht.“
Schulinterner Test
Jährlich führt der Campus Technicus mit seinen Kindern aus den Sprachlernklassen einen schulinternen Test durch. Dieser orientiere sich an dem Test „Deutsch für Jugendliche“, den das Goethe-Institut zusammengestellt hat. Die Schule vergibt für die Tests Noten, damit die Schüler einen Anhaltspunkt für ihre Leistungen haben.
„Ich bin auf meine beiden Sprach-Lehrkräfte wahnsinnig stolz - sie vollbringen Einzigartiges! Das gesamte Kollegium bewundert sie für ihren Einsatz und ihr tolles Engagement“, erklärt Schulleiterin Angret Zahradnik. Dennoch muss Zahradnik um ihre beiden Sprachlern-Kräfte bangen. „Zum 31. Dezember laufen ihre Verträge aus - wir wissen noch nicht, wie es weitergeht. (mz)