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Komfortable Neubauten statt DDR-Blöcke Bernburg: Neue Plattenbauten werden gebaut

Von Steffen Höhne 05.11.2018, 10:00
Ein Blick auf die beiden neuen Plattenbau-Blöcke in der Bernburger Innenstadt. In jedem Haus wurden 1.100 Fertigteile verbaut.
Ein Blick auf die beiden neuen Plattenbau-Blöcke in der Bernburger Innenstadt. In jedem Haus wurden 1.100 Fertigteile verbaut. Andreas Stedtler

Bernburg - Peter Arlt blickt auf die zwei fünfgeschossigen Neubauten. Der eine erstrahlt schon in weiß und orange, der andere befindet sich noch im Rohbau.

„Im vergangenen Herbst stand an der Stelle noch eine alte, baufällige Plattenbauschule“, sagt der Vorstand der Wohnungsgenossenschaft Bernburg. In nur zwölf Monaten entstehen für zehn Millionen Euro 70 moderne Wohnungen.

„Für eine Etage mit sieben Wohnungen haben die Firmen im Rohbau zwei Wochen benötigt“, sagt Arlt. Das dürfte im deutschen Bauwesen rekordverdächtig sein. Ermöglicht hat dies das Baukonzept: die Platte 2.0.

Bei Plattenbauten denken viele Ostdeutsche zuerst an DDR-Wohnblöcke. Deren Kennzeichen waren nicht nur die preiswerte Stahlbeton-Wände. „Bestimmend war vor allem eine monotone Bauweise“, sagt Architektin Dagmar Menzel. Alle Häuser seien gleich gefertigt gewesen, um hohe Stückzahlen zu erreichen.

„Das ist heute anders“, sagt sie. „Jedes Teil kann individuell, gefertigt werden.“ Zusammen mit ihrem Mann Michael betreibt sie im südbrandenburgischen Großthiemig das Familien-Unternehmen Menzel Betonbausysteme, das nun die Blocks in Bernburg errichtet.

Neue Plattenbauten in Bernburg: Intelligente Details wie ein begehbarer Kleiderschrank

Auf der Baustelle führt Arlt durch den Rohbau: Im Eingang entsteht ein Lichtatrium, breite Treppen führen in die Stockwerke.

Auffällig: Die Wände in den Wohnungen besitzen bereits die Aussparungen für Strombuchsen und Schalter, in den Bädern schauen die sogenannten Leerrohre für die späteren Wasseranschlüsse aus dem Beton. „Die Rohre für die Leitungen sind bereits in den Wänden“, erläutert Arlt. Das erleichtere den Innenausbau ungemein.

Jedes der beiden Häuser bestehe aus 1.100 Betonfertigteilen. Diese pünktlich anzuliefern, sei auch eine logistische Meisterleistung.

Der Vorstand der Wohnungsgenossenschaft ist inzwischen von der modularen Bauweise begeistert. Ein Bauprojekt mit dreistöckigen Häusern wurde bereits im vergangenen Jahr fertiggestellt.

Der Grund für die Plattenbauten war zunächst jedoch ein finanzieller. In der 30.000-Einwohner-Stadt liegen die durchschnittlichen Kaltmieten bei etwa fünf Euro. Das heißt, eine Drei-Zimmer-Wohnung mit 80 Quadratmetern kostet mit Nebenkosten etwa 600 Euro Miete.

Das Problem: Die Kosten für Neubauten sind stark gestiegen. Der Quadratmeter kostet im Neubau oft etwa 2.500 Euro. „Wir müssten Kaltmieten von mehr als zehn Euro verlangen, um das zu finanzieren“, erläutert Arlt. „Das geht in Bernburg aber nicht.“

Neue Plattenbauten in Bernburg: Niedrige Baukosten für Wohnungsgenossenschaft

Also hat der 52-Jährige nach preisgünstigen Alternativen gesucht und ist so auf die Baufirma Menzel aufmerksam geworden. Die Kosten betragen in Bernburg nun rund 2 200 Euro pro Quadratmeter.

Obwohl Platte, dürften die Wohnungen im Bernburger Marienhof künftig zu den modernsten der Stadt zählen, wie eine Musterwohnung zeigt: bodentiefe Fenstern, begehbarer Kleiderschrank, Fußbodenheizung und ebenerdige Duschen.

Zum acht Meter langen Balkon gibt es Zugang vom Schlafzimmer, Wohnzimmer und Küche. Architektin Menzel weist zudem darauf hin, dass es zwischen den Bauteilen eine sogenannte Schallentkopplung gibt. Dadurch würden Geräusche gedämpft.

Das Angebot stößt nach Worten Arlts auf großes Interesse: „Rentner-Ehepaare, junge Familien und Alleinstehende werden hier einziehen, nur noch zwei Wohnungen sind bisher nicht vermietet.“

Dabei liegt die Kaltmiete mit 8,60 Euro pro Quadratmeter am oberen Ende der Bernburger Preisskala. Laut Immobilien-Experten wird komfortables Wohnen für die Deutschen wichtiger und sie sind bereit, dafür auch mehr Geld auszugeben.

Der ehemalige Rechtsanwalt Artl lässt nicht nur neu bauen, sondern baut die gesamte Wohnungsgenossenschaft Stück für Stück um. Seit der Wende hat das Unternehmen etwa 1.000  Wohnungen abgerissen. Es verfügt heute noch über 2.237 Einheiten, die fast alle modernisiert sind. Der Leerstand lag im Jahr 2010 noch bei zwölf Prozent, heute sind es nur noch 3,5 Prozent - es ist einer der niedrigsten Werte einer Wohnungsgenossenschaft in Sachsen-Anhalt.

Arlt und sein Team sind dafür auch ungewöhnliche Wege gegangen. So wurde ein alter Block in schlechter Lage nur an Studenten und Auszubildende vermietet - für einen Euro pro Quadratmeter Kaltmiete. „Damit nehmen wir zumindest einen Teil der Kosten für den Unterhalt ein“, erklärt Arlt.

In anderen Gebäuden führte die Genossenschaft einen Treppenbonus ein. Je höher die Wohnung, um so günstiger die Miete. Denn die oberen Stockwerke lassen sich oft nur schlecht vermieten. „Anfangs gab es auch Kritik an unserem Vorgehen, doch mit dem Erfolg konnten wir Skeptiker überzeugen“, so Arlt.

Städte brauchen Neubauten: Können Plattenbauten eine Lösung sein?

Plattenbauten sind vorwiegend aus Betonfertigteilen hergestellte Gebäude. Die Wand- und Deckenplatten werden als fertige Elemente auf der Baustelle montiert. Es handelt sich um ein Verfahren innerhalb der Gruppe der Fertigteilhäuser.

Vor 1920 wurden Gebäude fast immer mit Mauerwerk (Stein auf Stein) errichtet. Das hohe Bevölkerungswachstum erforderte jedoch die schnelle Schaffung von Wohnraum. Die ersten Häuser, bei denen vorgefertigte Großplatten in Stahlbetonbauweise verwendet wurden, entstanden ab 1910 im Gartenstadtprojekt Forest Hills Gardens in Queens, einem Stadtteil von New York. Das erste Vorhaben in Tafelbauweise in Deutschland war das Projekt Neues Frankfurt (1925–1930).

In der Bundesrepublik entstanden ab der 50er Jahre Plattenbauten zumeist in Großsiedlungen an den Rändern der Großstädte, die größte in München-Neuperlach mit 55.000 Einwohnern. Als sozialer Wohnungsbau gedacht, stellte sich jedoch schnell heraus, dass die Viertel auch zu sozialer Separierung - Armenviertel - führen.

In der DDR entstanden erste Plattenbauten auch in den 50er Jahren. Doch erst mit dem staatlichen Wohnungsbauprogramm von 1972 wurden sie zum wichtigsten Neubautyp. Ganze Städte mit bis zu 100.000 Einwohnern, wie Halle-Neustadt, wurden errichtet. Anders als viele Altbauten hatten die Neubauten Zentralheizung, Innen-WC mit fließendem warmen und kalten Wasser. Daher waren sie bei den Bürgern begehrt. Nach der Wende zogen viele Mieter aus den monotonen Blöcken aus, die Viertel verloren an Wohnqualität.  wiki/sth

Nach seiner Ansicht besitzt die Kreisstadt des Salzlandkreises viel Potenzial: „Wir haben mit der Saale einen schönen Fluss, eine Autobahn-Anbindung und viel Industrie.“ Nach Bernburg würden 2.700  Menschen mehr zur Arbeit ein- als auspendeln.

Für Arlt sind das auch potenzielle neue Mieter. „Ich bin fest überzeugt, dass der Einwohnerrückgang verlangsamt, vielleicht sogar gestoppt werden kann“, sagt der Genossenschaftschef.

Bernburg ist kein Einzelfall. Überall in Sachsen-Anhalt investieren kommunale Wohnungsgesellschaften und -genossenschaften in Neubauten. „Im Grunde ist überall Neubau notwendig, weil sonst langfristig die Kommune unattriktiv wird“, sagte Ronald Meißner, Direktor des Verbandes der Wohnungsgenossenschaften Sachsen-Anhalt.

Während in den vergangenen 25 Jahren vor allem der Abriss und die Modernisierung der vorhandenen Wohnungen im Vordergrund gestanden habe, würden nun in 16 größeren Städten des Landes auch wieder Quartiere errichtet.

In Bernburg wurden die beiden Neubauten in ein Karre mit älteren DDR-Plattenbauten gesetzt. Die Wohnungsgenossenschaft lässt in der Mitte einen abgezäunten Park anlegen, in dem sich die Mieter im Sommer erholen oder Gäste empfangen können. Schöner Wohnen ist also nicht auf die eigenen vier Wände begrenzt. Die Platte 2.0 setzt damit sogar neue Maßstäbe. (mz)

Mitmachen statt nur zusehen: In seiner blauen Wetterjacke besucht Genossenschafts-Chef Peter Arlt regelmäßig die Baustelle.
Mitmachen statt nur zusehen: In seiner blauen Wetterjacke besucht Genossenschafts-Chef Peter Arlt regelmäßig die Baustelle.
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