Aus der Sicht der kleinen Leute
BERNBURG/MZ. - Daher ist es sicherlich kein Zufall, dass der 66-jährige frühere Bundestagsabgeordnete (1990 bis 1998) und ehemalige Buchhändler die Zeit seiner Rente dazu nutzt, um im Landeshauptarchiv in Dessau oder in alten Kirchenbüchern alte Quellen neu zu erschließen. Dabei konzentriert sich Krziskewitz speziell auf das Thema "Juden in Bernburg".
"Meine erste ernsthafte Arbeit habe ich 1987 durchgeführt", denkt Krziskewitz an die Zeit vor der Wende zurück. Damals ging es ihm darum herauszufinden, wie sich über einen Zeitraum von 150 Jahren die Sterblichkeitsrate in der Harzgemeinde Neudorf im Vergleich von Bergleuten und anderen Einwohnern verändert hat. Als Quelle dienten ihm die Kirchenbücher der Gemeinde.
Reiner Krziskewitz ist jemand, der es versteht, sich in kulturelle oder historische Hintergründe so zu vertiefen, dass er sie anschließend einem allgemein interessierten Hörerkreis so anschaulich zu schildern vermag, als wäre er selbst dabei gewesen. Dies war zum Beispiel im Mai dieses Jahres der Fall, als er zur 150-Jahr-Feier der katholischen Pfarrei St. Bonifatius erläuterte, wie die Gründung von Zuckerfabriken ab 1840 herum dazu geführt hat, dass Arbeitskräfte aus dem katholisch geprägten Eichsfeld nach Anhalt kamen. In vielen Dörfern stellten sie später einen erstaunlich hohen Anteil der Gesamtbevölkerung.
Der 66-Jährige ist es seit langem gewohnt, seine eigenen Wege zu gehen. Als er in den 1970er Jahren noch in der Datenverarbeitung des Zementwerks tätig war, beschäftigte er sich nebenbei mit der pazifischen Inselgruppe Melanesien nordöstlich von Australien. Er nahm Kontakt zu Bürgermeistern großer Städte im pazifischen Raum auf. Es entstand eine umfangreiche Korrespondenz, um sich mit der dortigen Sprache zu befassen. 1978 schrieb Krziskewitz einen Aufsatz "Melanesisch Pidgin: Zur Geschichte einer entstehenden Nationalsprache". Der Aufsatz wurde vom Museum für Völkerkunde Leipzig veröffentlicht.
Mit dem so erworbenen Stoff ging Reiner Krziskewitz auf Vortragsreise. Über die Korrespondenz erhaltene Bilder und Postkarten wurden Gegenstand von über 300 Lichtbilder-Vorträgen, organisiert von der Urania. "Ich mache am liebsten Dinge, die andere nicht können oder wollen", sagt der 66-Jährige zu diesem Wesensmerkmal, sich um Themen zu kümmern, die für andere eher am Rande liegen. In Anhalt geht es ihm weniger um die große Fürstengeschichte. Viel stärker interessiert ihn die Geschichte der kleinen Leute.
Allein 180 Aktenverweise gibt es im Dessauer Landesarchiv über die Stichworte "Juden" und "Bernburg". Als Quelle dient ein Findbuch zur Geschichte der Juden in den Archiven der neuen Bundesländer. 25 dieser Akten hat Reiner Krziskewitz bisher durchgearbeitet. Es bleibt also noch jede Menge zu tun.