Turmkugel geöffnet Turmkugel geöffnet: Flaschenpost von der Feierabendbrigade
Aschersleben/MZ. - Wussten Sie, dass es 1986 kaum noch Naturschiefer für DDR-Geld gab? Die Dachdecker der PGH konnten davon ein Liedlein singen. Aber der Reihe nach:
Unter der Überschrift "Alter Johannisturm wurde wieder neu" schrieb die "Freiheit" am 16. September 1987: "Vier Monate Feierabendarbeit waren vonnöten, um den 1380 erbauten Turm zu erneuern. Schlechtes Wetter verzögerte das Unterfangen, aber nun ist es seit Mitte Juli geschafft." Als das geschrieben wurde, lagen drei sorgfältig verschlossene Hülsen längst wieder sicher im Turmknopf. Vierzehn Jahre später, nämlich am Donnerstag vergangener Woche, wurde die Turmkugel erneut abgenommen (die MZ berichtete). Um die Kugel, Wetterfahne und den Adler vor Diebstahl oder Beschädigung zu schützen, kommen sie vorläufig ins Archiv. Die Hülsen lagen an diesem Donnerstag auf dem Tisch des Oberbürgermeisters.
Was wohl drin sein wird? Stadtarchivar Peter Nielitz öffnet unter den gespannten Blicken von Journalisten und Rathausmitarbeitern die Behältnisse, die nach altem Brauch das jeweils Wichtige aus der Zeit der Sanierung enthalten. Nun ist die letzte Dachsanierung ja noch nicht so lange her, und jeder kann sich noch gut an Plansoll, Volkswirtschaftspläne und die gängigen Schlagzeilen in der Presse erinnern. Und so kommen folgerichtig Plandokumente und Broschüren zum Vorschein, aber auch sorgsam in Plastekistchen verstaute Münzen, eine Broschüre mit Heimatsagen, zwei "Freiheit"-Ausgaben vom 1. und 2. Oktober 1986 sowie Fotos, die Walter Weise und Otto Brandt beim Herstellen der Wetterfahne zeigen.
Eine der Hülsen wurde augenscheinlich von Handwerkern der PGH "Neues Deutschland" gefüllt, und die Jungs haben sich richtig Mühe gegeben, späteren Generationen etwas von der damaligen Zeit zu übermitteln. In einer leeren Flasche Jamaika-Rum-Verschnitt (hoffentlich haben sie die nicht auf dem Dach getrunken!) fand sich ein handgeschriebener Brief, unterzeichnet von Hans Müller. Darin heißt es unter anderem "Naturschiefer war kaum noch für DDR-Geld zu bekommen". An anderer Stelle teilen uns die Handwerker mit, dass der Stundenlohn in diesen Jahren 1,70 Mark betrug. Zu erfahren ist außerdem, dass der Zustand des Turmes sehr schlecht war und wo überall die PGH beim Sanieren von Kirchen- und Turmdächern zugange war. Man darf nun gespannt sein, was die heutigen Stadtväter in der Turmkugel verstauen werden. Die Unterschriftenaktion zum Verputzen oder Nichtverputzen des Turmes vielleicht?!