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Tränen lassen den Eispanzer zerbrechen

Von MARION POCKLITZ 03.02.2009, 15:43

ASCHERSLEBEN/MZ. - Und dann erschrickt sie. "Oh, Besuch. Ich hatte schon so lange keinen Besuch mehr. Und jetzt sitzen gleich so viele Gäste in meiner Stube", ist sie begeistert. Dabei lässt sie den Blick über die vollbesetzten Stuhlreihen schweifen. Von dort schauen ihr staunend die Mädchen und Jungen entgegen, die nun endlich die Geschichte der Schneekönigin hören möchten. Dieser Wunsch wird von Kieselchen Stein - das ist Petra Ambach-Raschke - sofort erfüllt. Denn dieses Mal spielt sie die Großmutter von Kai und Gerda und haucht somit als Erzählerin den Puppen Leben ein. "Aber Kai und Gerda waren schon so lange nicht mehr hier. Früher war das ganz anders. Wir haben Geschichten erzählt, gesungen und getanzt", verrät sie den Kindern. Und dann eines Tages zog Kai allein mit seinem Schlitten los und war verschwunden. Er wurde einfach von der Schneekönigin mitgenommen, erzählt sie und lässt dabei die Schneekönigin persönlich auf dem Stubentisch erscheinen. Schön, graziös und in glitzernden Tüll gehüllt steht sie vor Kai. Hoheitsvoll küsst sie diesen und schon kann sich der kleine Junge weder an Gerda noch an die Großmutter erinnern. Dann fliegen beide hoch in die Lüfte und gegen Norden davon. Gerda hält es vor Sehnsucht nicht mehr aus und macht sich daran, ihren Kai zu suchen. Dabei trifft sie unterschiedliche Figuren: die Räubertochter, die Blumenfee und die Krähe. Alle helfen ihr, Kai zu finden. Doch als sie vor ihm im Schloss der Schneekönigin steht, kann er sich an nichts erinnern. Erst als Gerdas Tränen auf sein Herz fallen, zerspringt der Panzer aus Eis darum und die beiden Kinder fliehen zur Großmutter.

Mit wenigen Mitteln verändert die Künstlerin während des Märchens immer wieder ihre kleine Bühne. Weiße, glitzernde Tücher für den Winter, einen Blumenschal für den Sommer. Auch ihre Puppen, die sie im übrigen selbst aus Holz, Bast und Stoff herstellt, faszinieren das kleine Publikum. Kai mit einer lila Pudelmütze versehen, die Blumenfee mit einem bunten Blumenrock und Gerda mit niedlichen Pippi-Langstrumpf-Zöpfen. Eine dreiviertel Stunde dauert die Vorstellung, die den Kindern in keiner Minute zu lang wird. Begeistert folgen sie der Märchenerzählerin in das eiskalte Schloss im Norden bis hin wieder zur guten warmen Stube der Großmutter. Ein märchenhafter Vormittag, der ganz dem Zauber des dänischen Märchens von Hans Christian Andersen gehört. Und zum Schluss? Da sind Kai und Gerda erwachsen. Es gibt kein Happy End - denn geheiratet habe sie sich nicht. Sie leben in unterschiedlichen Städten. Kai ist Bäcker geworden, denn das Kindheitstrauma des kalten Eises will er in der warmen Backstube vergessen. Und Gerda? Sie ist eine Eisverkäuferin geworden. Und jedes Mal, wenn die Großmutter sie besucht, bekommt sie zwei Kugeln der kalten Leckerei geschenkt. Erdbeer und Schokolade. Auch heute wird es wieder Eis für die Großmutter geben. "Denn in einer Stunde fährt mein Zug. Der wird mich zu Gerda bringen", sagt sie, während sie den großen schwarzen Koffer in die Hände nimmt. Und dann verlässt sie den Saal in gebückter Haltung. Nur eins hat sich verändert. Der lang anhaltende Beifall des kleinen Publikums schallt noch lange hinter ihr her. Ein Dank für eine wunderbare Geschichte.