Stilllegung der Bahnstrecke Quedlinburg-Frose-Aschersleben Stilllegung der Bahnstrecke Quedlinburg-Frose-Aschersleben: Kleiner Bahnhof, große Gefühle
Gernrode/Quedlinburg/MZ. - Er wackelt hin und her. Wie ein unwirscher Kopf mit gelben Scheinwerferaugen. Wie immer bei der Einfahrt in den Quedlinburger Bahnhof. Für die knapp 50 Eisenbahn-Enthusiasten, die sich auf Bahnsteig 3 versammelt haben, ist es wohl eher ein verzweifeltes Kopfschütteln. Zum letzten Mal rumpelt der Triebwagen aus Gernrode über die Schienenstöße.
Sonnabendnachmittag, kurz vor halb vier. Die Ansage über die knarrenden Lautsprecher weicht vom Üblichen ab: "Ab 0 Uhr wird der Betrieb auf der Strecke nach 140 Jahren eingestellt." Es ist nicht nur der eisige Wind, der viele auf dem Bahnsteig frösteln lässt. Ulrich Waltemath bittet dennoch alle aus dem Zug. Der Bad-Suderöder gehört zu den wenigen, die die Strecke beinahe täglich nutzten. Der Finanzbeamte pendelte per Bahn nach Wernigerode, trotz Führerschein und Auto tat er es gern.
Waltemath hält eine kleine Rede. Er dankt den Lokführern, den Zugbegleiter, die - außer am Sonntag - allerdings schon seit langem nicht mehr mitfuhren, und den Fahrdienstleitern. Sabine Bartels saß jahrelang in Bad Suderode und dirigierte den Zugverkehr zwischen Quedlinburg und Aschersleben. Jetzt wischt sich die Ditfurterin verstohlen eine Träne aus dem Auge, als Waltemath ihr einen Blumenstrauß übergibt. Künftig arbeitet sie in Großquenstedt.
Hans-Joachim Klietz hupt. Und winkt. Der Mann mit den lachenden Augen und dem grauen Vollbart lässt um 15.35 Uhr den VT 628 noch einmal anrollen. Den Balkan hinauf. Warum die Strecke so genannt wird, weiß keiner so richtig. "Vielleicht wegen der Russen", meint Klietz. Der 54-Jährige hat zu DDR-Zeiten Truppentransporte nach Quarmbeck hinein und heraus gefahren. "Die Russen waren nicht zimperlich", erinnert er sich, während der Zug den weiten Bogen Richtung Quarmbeck erklimmt. Ines Schächtel hat da schon alle Fahrscheine kontrolliert. "So früh kriege ich die sonst nie." Doch für viele ist der Stempel 31. Januar mehr als ein Datum.
Klietz braucht solche Erinnerungen nicht, die hat er alle im Kopf. 1972 hat der Halberstädter auf dem Balkan angefangen. Zwei Jahre später seine erste Dampflok selber gefahren. Maximal 500 Tonnen durften hinten dran hängen. Vielleicht war es ja die Gebirgigkeit der Strecke, derenthalben der Name Balkan herhalten musste. Eng wurde es bei Eisregen und Sturm, wenn der Sand unter den Rädern fortgeblasen wurde. "Irgendwann standen wir", erzählt Klietz. Da blieb ihm nichts weiter übrig, als seinen Heizer mit einem Eimer Sand vor die Lok zu schicken. Im Schritttempo ging es weiter. "Bedarfshalt Quarmbeck", verkündet der Lokführer. Und tatsächlich steigt jemand ein. Der Mann ist irritiert von der Fülle im Zug. "Gestern Abend um halb zehn ist auch noch einer mitgefahren." Hans-Joachim Klietz wird die nächsten zwei Jahre rund um Halberstadt fahren. "Bis Connex kommt." Ein Vibrieren geht durch den grauen Bart. "Natürlich ist da Wehmut. Es sind jedes Mal Arbeitsplätze, die verloren gehen. Nicht nur für die, die fahren. Das tut dann doch schon in der Seele weh." Dann kommt die letzte Steigung zwischen Bad Suderode und Gernrode. Endstation.
Die letzte Fahrt machte Hans-Joachim Klietz um kurz vor halb zehn zurück nach Quedlinburg. Von dort aus fuhr er den nun endgültig leeren Zug nach Halberstadt.