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Schiff wird aus dem Wasser gefahren

Von REGINE LOTZMANN 27.10.2009, 16:05

SCHADELEBEN/MZ. - "Das ist die effektivste Lösung", nickt Hans Strohmeyer zu dem merkwürdigen Doppelgespann hinüber, das die Seelandperle aus dem Wasser ziehen soll. Dafür sind am Dienstag Großtechnik und rund 20 Spezialisten im Einsatz: Männer von der auf Schwerlasttransporte und Autokrane spezialisierten Firma Breithaupt und Philipp aus Hohendodeleben, von der SLT GmbH aus Rogätz, die den nun im Wasser stehenden Auflieger mitgebracht hat, Taucher und Bootsführer von der DLRG, Kapitän Wolf-Dieter Sonnenberg und natürlich die Mitarbeiter der Seeland GmbH.

Dass das 28,5 Meter lange und 60 Tonnen schwere Fahrgastschiff, das bei dem durch den Nachterstedter Erdrutsch ausgelösten Mini-Tsunami ans Ufer gedrückt wurde, nun aus dem Wasser muss, hatte der von der Versicherung gestellte Gutachter Ende September beschlossen. Braucht der Fachmann doch noch genauere Untersuchungen, will er in der nächsten Woche einen Blick auf den Unterboden der Seelandperle werfen und gemeinsam mit einer Motorenfirma den Antrieb unter die Lupe nehmen. "Deshalb übernimmt die Versicherung auch die Kosten für die Bergung", informiert Hans Strohmeyer, der Geschäftsführer der Seeland GmbH, und zieht sich die Kapuze tiefer ins Gesicht.

Eine Bergung, die sich mehrere Firmen nicht zugetraut hätten, weiß Sebastian Elsholz, der für diesen Auftrag zuständige Außendienstmitarbeiter der Firma Breithaupt und Philipp. "Auch wir haben kurzzeitig überlegt, am Ufer Gruben auszuschottern, um das Schiff dann mit Hilfe von zwei Kranen aus dem Wasser holen zu können", gibt Elsholz zu, dessen Unternehmen auf eine 60-jährige Erfahrung zurückgreifen kann und in Brandenburger Werften regelmäßig Schiffe aufs Trockene bringt. "Doch das wäre in diesem Fall zu heikel gewesen", winkt er diese Variante als zu gefährlich ab. Niemand hätte gewährleisten können, dass der Unterboden nicht unterspült werde und absacke, die beiden Krane so in den Concordia See stürzen könnten.

"Das hier ist die sicherste Methode", zeigt er deshalb auf den Schwerlasttransporter, dessen Auflieger zum größten Teil im Concordia-Wasser liegt, so dass die Seelandperle mit eigener Kraft direkt darüber fahren kann und - sobald der Auflieger hydraulisch aufgepumpt wird - automatisch verladen ist, aus dem Wasser gefahren werden kann. Ein Vorhaben, das sich gut anhört, aber - und das zeigt der verregnete Vormittag - auch seine Tücken hat. Kapitän Wolf-Dieter Sonnenberg braucht drei Anläufe, um das riesige Schiff in die richtige Position zu bringen, wobei auch einer der zuvor gesetzten Markierungspfeiler in Mitleidenschaft gezogen wird. Die Männer der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft (DLRG) und der Seeland GmbH, die das Schiff vom Steg aus mit dicken Seilen sichern, haben schwer zu kämpfen.

Doch das Unternehmen glückt: Die der Stadt Seeland gehörende Seelandperle hat fast die perfekte Lage gefunden und wird nun mit Hilfe von schweren Ketten gesichert. Erstes Aufatmen bei den Männern und Frauen, die die Aktion mit hochgeschlagenen Kapuzen vom Steg und vom Ufer aus verfolgen. Nun sind die beiden Taucher der DLRG im Einsatz. "Die müssen jetzt schauen, dass das Schiff richtig auf dem Hänger steht", erklärt Steffen Schaaf von der für den Einsatz zuständigen DLRG-Ortsgruppe Hettstedt, die die Bergung auch mit vorbereitet, beim Abbau des Quersteges geholfen hat, damit die Seelandperle mehr Manövrierfreiraum bekommt.

In den Händen der Taucher liegt aber auch eine zweite wichtige Aufgabe, die im schätzungsweise sieben bis acht Grad Celsius kalten Wasser des Concordia Sees abgetaucht sind: Sie müssen am Anhänger die Hebel der Hydraulik bedienen, damit das Schiff sicher aufliegt. Doch das hat inzwischen eine gefährliche Schieflage eingenommen. Einer der Taucher gibt erst einmal auf: "Ich sehe nichts, alles ist schwarz, weil der Boden so aufgewühlt ist, zudem habe ich kaum noch Luft", meint er prustend und kommt triefend aus dem Wasser, um die Sauerstoffflasche zu wechseln.

Erste Versuche, das Schiff aus dem Wasser zu ziehen, werden immer wieder durch laute Stopp-Rufe unterbrochen. Mal ist es noch zu schief, mal liegt es zu weit rechts, mal ist der Taucher in Gefahr. Doch als dem zweiten Taucher gelingt, die Hydraulik zu bedienen, nimmt das Schiff eine perfekte Lage ein. Den 60-Tonner da aus dem Wasser zu ziehen, ist eigentlich nur noch Formsache. Dem Tieflader ist dafür eine zweite Maschine - ein sogenannter Vorspann-Lkw - vorgekoppelt. "Falls die Räder im Wasser durchdrehen und um mehr Kraft zu haben", meint Elsholz. Immerhin geht es um über 100 Tonnen Gesamtgewicht, weiß auch Holm Thormann. Denn leer wiege der Tieflader 33 Tonnen, die Zugmaschine 10,5 Tonnen und das Schiff selbst noch einmal 60 Tonnen, rechnet der Einsatzleiter der aus der Nähe von Magdeburg stammenden SLT-Schwerlasttransport-Firma vor.

"Das sind wirklich Profis", freut sich Strohmeyer über die gelungene Aktion, als das Doppelgespann Anhänger und Schiff aus dem Wasser und die Straße hinaufzieht und wahre Stürzbäche den Weg hinunterströmen. "Ich bin der erste Kapitän, der am Kiosk vorbeigefahren ist", witzelt Wolf-Dieter Sonnenberg dabei, hat nun allerdings Probleme, wieder von seinem Schiff herunterzukommen. "Eine Leiter für den Kapitän", hallt es deshalb über das in feinem Nebel versunkene Ufer. Die ist dann auch nach einiger Zeit gefunden, so dass Sonnenberg und sein Mitarbeiter das Schiff verlassen können. Denn das wird nun an dicken Schiffsgurten festgemacht, damit der am Tag zuvor aufgebaute Kran - ein 220-Tonner - die Seelandperle vom Tieflader aufheben und auf Böcke setzen kann.

"Dort wird das Schiff in der nächsten Woche vom Gutachter untersucht", kündigt Seeland-Chef Hans Strohmeyer an, der die Gunst der Stunde nutzt. Denn der Unterboden des Fahrgastschiffes muss neu lackiert werden und auch der TÜV steht an. "Das werden wir alles gleich mitmachen", erklärt Strohmeyer und hofft, dass die Seelandperle ihre Fahrt auf dem Concordia See wieder aufnehmen darf. Doch das entscheiden nicht zuletzt Gutachter und Eigentümer.