Keine Haftpflichtversicherung mehr Keine Haftpflichtversicherung mehr: Hebammen haben das Ende vor Augen

Aschersleben/MZ - Die kleine Charlotte quengelt ein wenig. Stephanie Brößke nimmt ihr Baby deshalb auf den Arm und beruhigt es. Ein bisschen sieht es so aus, als ob die 30-Jährige aus Schackenthal dabei tanzt. Die anderen drei Mütter sind amüsiert. Es ist eine lockere Runde, die sich gerade in der Praxis von Yvonne Schoppa trifft - zum Rückbildungskurs, wie die Hebamme aus Aschersleben erklärt. Spezielle Gymnastikübungen machen die Frauen aber gerade nicht. Denn eigentlich ist das Treffen ein netter Abschluss nach teilweise harten Wochen der Schwangerschaft.
Alle sitzen deshalb auf Kissen am Boden bei Kaffee und Kuchen. Und berichten aus dem Alltag junger Mütter, während einige Babys vor ihnen umherkrabbeln, schlafen oder eben ein bisschen quengeln. Bei den Gesprächen geht es nicht nur um die Mütter und deren Babys, sondern auch um die Perspektive einer ihrer wichtigsten Unterstützerinnen: Yvonne Schoppa. Sie stand den Frauen während der Schwangerschaft immer mit Rat und Tat zur Seite. „Ich konnte sie stets anrufen, egal, zu welcher Uhrzeit“, sagt zum Beispiel Bianca Zimmermann, während die 36-Jährige aus Westdorf ihr erstes Kind Elisa im Arm hält.
Diese Betreuung könnte bald wegfallen. Nach derzeitigem Stand wird Yvonne Schoppa nicht mehr lange als freiberufliche Hebamme arbeiten können. Grund: Der einzige Haftpflichtversicherer der Hebammen in Deutschland hat den Versicherungsschutz aufgekündigt.
Im Sommer 2015 läuft der Vertrag aus, spätestens dann ist Schluss. Davon betroffen sind auch Beleghebammen in Krankenhäusern. Im Klinikum Aschersleben gibt es den Angaben zufolge immerhin zwei. Auch angestellte Hebammen, die Kurse außerhalb des Klinikums anbieten, sind vom Wegfall der Haftpflichtversicherung betroffen.
Dabei hatte Schoppa den Schritt in die Selbstständigkeit entgegen dem Trend erst vor etwa einem Dreivierteljahr gewagt. Während andere Hebammen ihre Freiberuflichkeit aufgrund der stetig steigenden Kosten für die Haftpflichtversicherung aufgaben, eröffnete sie nach über zehnjähriger Berufstätigkeit Hinter dem Turm in Aschersleben eine Praxis, betreut seitdem allein Schwangere vor und nach der Geburt. „Für mich bedeutet der Beruf mehr, als Kinder auf die Welt zu bringen.“ Etwa sechs Geburten betreut die 34-Jährige so pro Monat, während etwa eine Hebamme im Schichtdienst in einem Krankenhaus auf wesentlich mehr Geburten kommt.
Unterschriftenlisten sind immer dabei
Schoppa will aber nicht nur zusehen, wie die freien Hebammen de facto abgeschafft werden. Deshalb hat sie seit vergangener Woche immer Unterschriftenlisten dabei. Sie hofft, dass sich mehr Leute mit dem aktuellen Problem freiberuflicher Hebammen auseinandersetzen und sie bei der Forderung, eine Lösung zu finden, unterstützen. Immerhin: Mehr als ein Dutzend Unterschriften hat sie bereits.
Die Politik hat das Problem längst erreicht. Allein an Lösungen fehlt es noch. Derzeit laufen die Gespräche zwischen Kassen, Berufsverbänden und dem Bundesgesundheitsministerium. Dabei gehe es zunächst um die Übernahme der steigenden Versicherungsbeiträge durch die Krankenkasse, langfristig müsse es aber einen steuerfinanzierten Fonds geben, der einen Teil des Haftungsrisikos abdecke, hieß es Mitte März aus dem Ministerium in Berlin. Sachsen-Anhalt will sich unterdessen einer Bundesratsinitiative zur Absicherung der freiberuflichen Hebammen anschließen.
Ganz große Lobby fehlt
Schoppa hofft, dass es bald eine Lösung geben wird. Allerdings hat sie die Erfahrung gemacht, dass hinter ihrem Berufsstand die ganz große Lobby fehlt. „Niemand steht für uns ein.“ Tatsächlich gehört sie zu den wenigen freien Hebammen, die neben Vorbereitungskursen auch Geburtshilfe anbieten. Etwa 3?800 sind es - bundesweit. Eine Hebamme wie Schoppa brachten laut zuständigem Sozialministerium in Magdeburg 2010 deshalb nur 175 von 17?300 Kindern in Sachsen-Anhalt auf die Welt.
Dabei fürchtet Schoppa nicht nur um ihre Zukunft, sondern auch um das Wohl der Mütter. Geburten zu Hause oder in Geburtshäusern sind ab Sommer 2015 nicht mehr möglich. „Die Wege in das nächste Krankenhaus würden teilweise länger werden.“ Bei solchen Vorstellungen überlegt zumindest Bianca Zimmermann, ob sie noch ein zweites Kind bekommen soll. „Die Rahmenbedingungen spielen ja immer eine Rolle.“